30. Juli 2021 von Michael Bünnemeyer
Auf ins Ökosystem? Versicherte digital dort gewinnen, wo sie sich aufhalten
Max Meier ist 20 Jahre alt und liebt sein Fahrrad, das er hegt, pflegt und auf einem möglichst aktuellen Stand der Technik hält, soweit es sein Kontostand erlaubt. Auf einer Vergleichsplattform für Fahrräder und Zubehör wird er über Trends und Schnäppchen informiert. Seien es hochwertige Bremsscheiben oder das neueste Pedalsystem: hier erhält Max den besten Überblick. Besonders freut sich Max über die Option die Garantie für seine Einkäufe zu verlängern oder diese gezielt zu versichern. Welcher Versicherer im Hintergrund das Risiko absichert, spielt für Max in diesem Kontext keine Rolle.
Der Einkauf löst in Max positive Gefühle aus und steigert seine Vorfreude auf die neuen Wunschartikel, bevor die Lieferung bei ihm eintrifft. Aber auch ohne Kauf ist Max glücklich, eine Homepage gefunden zu haben, die ihm so viele Mehrwerte bietet.
So viel zu einem Beispiel eines funktionierenden Ökosystems. Ich möchte euch mit diesem Blog-Beitrag keine utopischen Vorstellungen vermitteln, sondern viel mehr auf die Chancen von Ökosystemen als Mittel zur Ansprache von Kunden für die Versicherungsbranche hinweisen und sensibilisieren. Das oben formulierte Beispiel zeigt beinahe schon zu perfekt, wohin sich der Versicherungsmarkt beziehungsweise die Kommunikation mit den Kunden in den kommenden Jahren entwickeln wird. Aber beginnen wir zuerst mit der Theorie. Was ist ein Ökosystem? Was sind die Treiber und welche Möglichkeiten bietet es für die einzelnen Teilnehmer und Teilnehmerinnen?
Das Ökosystem in der Theorie
Laut Laut Fraunhofer IESE ist ein Ökosystem ein sozio-technisches System, das nicht nur digitale und technische Systeme umfasst, sondern explizit Organisationen und Menschen sowie deren Beziehungen untereinander einschließt. In einem gemeinsamen digitalen Ökosystem agieren Teilnehmende aufgrund wechselseitigen Nutzens, der durch die gemeinsame Zusammenarbeit im Ökosystem entsteht.
Der erzielte Nutzen übersteigt die Summe der einzelnen Leistungen, der am Ökosystem beteiligten Unternehmen und macht damit den Unterschied zu einem bloßen Netzwerk oder einer linearen Wertschöpfungskette.
Es handelt sich um das 1 + 1 = 3 Prinzip, bei dem verschiedene Komponenten (zum Beispiel Pedale und Garantieverlängerung), die im Einzelnen einen geringen Wert haben, zusammengelegt und daraus Mehrwerte (wie zum Beispiel Zufriedenheit, Begeisterung oder Sicherheit) geschaffen werden.
Für den Aufbau und die Weiterentwicklung eines Ökosystems sind insbesondere der Mensch und die Technologie federführend. Menschen entscheiden durch ihr Handeln über den Erfolg eines Ökosystems. Das System muss an ihren Bedürfnissen ausgerichtet werden. In der Regel existieren bereits lineare Wertschöpfungsketten und Netzwerke zur Bedarfsdeckung. Wenn es um Endverbraucher geht, so wird der Bedarf durch Lebensbereiche wie Hobbies und Leidenschaften gedeckt.
Technologischer Fortschritt ermöglicht neue Formen der Vernetzung und wirkt damit als Katalysator. In Ökosystemen können neue Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden, die sich ihre Nachfrage selbst erzeugen und damit einen neuen Markt erschaffen. Ein Beispiel ist die Bedeutung von APIs, die ich gemeinsam mit einem Kollegen in dem nachfolgend verlinkten Video erläutere.
In einem Ökosystem können die Akteure (ohne Betrachtung des Kunden) insbesondere folgende Rollen einnehmen:
Um ein Beispiel aus einer anderen Branche zu nennen, ist Netflix Initiator/Orchestrator für seinen Streaming-Dienst und produziert eigene Serien als Produkt (siehe beispielsweise „Haus des Geldes“). Der Technologieanbieter für Rechen- und Speicheranforderungen, einschließlich Datenbanken, ist die AWS. Ähnliche Konstrukte finden sich auch im deutschen Versicherungsmarkt.
Chancen ergreifen
Das Ökosystem bietet für Versicherer die Chance mit dem Kunden in den direkten Kontakt zu treten, während er sich in einem für ihn positiv besetzten Umfeld befindet. Das Versicherungsprodukt integriert sich in das Gesamtangebot. Dabei ist zu beachten, dass einfache Kompositversicherungen, wie zum Beispiel Gegenstand und Haftpflicht, wenig Nachfragebedarf auf Kunden- oder Versichererseite erzeugen, anders als Renten- oder Krankenprodukte. Das heißt, die Hürde zu einem Abschluss kann je nach Versicherungsprodukt unterschiedlich groß ausfallen. Dass die eigene Marke dabei in den Hintergrund rücken kann, stellt für die Versicherer eine besondere Herausforderung dar.
Auf der Habenseite des Kunden liegt seine persönliche Customer Journey, bei der er ohne zusätzlichen Aufwand Versicherungsschutz einkaufen kann. Dies geht zu Lasten eines neutralen Vergleichs und birgt das Risiko, dass der Kunde Versicherungen einkauft, die gegebenenfalls bereits vorhanden sind oder er tendenziell den Überblick über verschiedenen Gegenstands-Versicherungen (für die Pedale, für Reifen, etc.) verliert. Ein wenig erinnert mich dies an den Moment, in dem man sich mal wieder den Überblick über die selbstbezahlten Streaming-Dienste verschaffen möchte.
Vermittler sind nicht zwingend Verlierer dieses direkten Kontakts zwischen Kunden und Plattformen beziehungsweise Versicherern. Vielmehr hilft der niedrigschwellige Kauf des Produktes Kontakte und somit Leads zu erzeugen, die auch für die Vermittler interessant werden können, sobald die Produkte weitere Beratung und Begleitung bedürfen. Große Maklerhäuser können sich in der Vernetzung mit Plattformen zum Beispiel als Vergleicher positionieren, die je nach Konstellation der gekauften Produkte – etwa Alter des Kunden, finanzieller Rahmenbedingungen, etc. – das optimale Produkt anbieten können.
Abschließend sei festzuhalten, dass sich die Versicherungsbranche gezielt mit dem Themenfeld Ökosysteme auseinandersetzen muss. Insbesondere als Produzent oder in selteneren Fällen als Initiator/Orchestrator.