15. Mai 2025 von Dr. Michael Hartmann
Vom KI-Hype zum veränderten Geschäftsmodell – Data Driven Insurance (DDI)
Die Geschwindigkeit, mit der sich KI derzeit weiterentwickelt ist immens. Damit einher geht auch die stetig steigende Leistungsfähigkeit von KI in Bezug auf Qualität. Und so erstaunt es auch nicht, dass KI-Anwendungen schon in vielen Versicherungsgesellschaften in ersten Umsetzungen angewendet werden. Damit ist der Weg für die Zukunft auch bereits geebnet: Versicherungsgesellschaften verfügen über einen breiten Fundus an Daten, die häufig noch wenig genutzt werden und mit Hilfe von KI neue Potentiale in der Interaktion mit Kunden erschliessen. Die Geschäftsmodelle verändern sich in Richtung Data Driven Insurance. Wie das aussehen kann, beschreibt der nachfolgende Artikel.
DDI – Data Driven Insurance
Data Driven Insurance ist unser Framework, mit dem wir versuchen, mit einem Fokus auf den Kunden und mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz ein noch besseres Kundenerlebnis zu generieren. Sei dies durch personalisiertere Angebote und Services oder durch effizientere bzw. für den Kunden autonomere Prozesse entlang der Customer Journey.
Das DDI-Framework beinhaltet mehrere Elemente, welche die Rahmenbedingungen für die datengesteuerten Aktivitäten festlegen. Es reicht von strategischen und technischen Überlegungen hin zu prozessualen und regulatorischen Bedingungen (vgl. Abbildung 1)

Abbildung 1: DDI-Framework
Die Datenstrategie bildet letztlich die Grundlage für die weiteren Aktivitäten. Mit der Datenstrategie werden zunächst grundlegende Leitplanken festgelegt. Zum Beispiel wird definiert, ob Daten eher für den Betrieb oder auch als Wachstumsreiber verwendet werden sollen. Eine andere Frage, die sich stellt, ist, ob Daten nur intern genutzt werden oder in einem Ökosystem, wo sie auch mit Partnern geteilt werden. Auf der Basis solcher Fragen wird eine Datenvision formuliert und die Umsetzung zur Erreichung der Vision in einer Roadmap festgehalten und geplant.
Auf der Basis der Strategie werden die technologischen Grundlagen festgelegt. Auf der einen Seite braucht es einen Blueprint der Datenarchitektur, der festlegt, wie Daten gehalten und zusammengeführt werden. Auf der anderen Seite muss bestimmt werden, auf welcher technischen Infrastruktur aufgebaut wird und welche technologischen Komponenten zum Einsatz kommen sollen.
Die Customer Journey ist das Kernelement von DDI. Daten sollen schliesslich eingesetzt werden, um einen Mehrwert für den Kunden zu erzeugen. Dieser Mehrwert kann sich ergeben durch schnellere Abwicklungsprozesse, vielfältigere Möglichkeiten oder stark personalisierte Produkte und Services, wobei all diese Themen dann in der Regel von KI unterstützt werden. Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir auf genau diese Punkte noch detaillierter eingehen.
Da jeder Prozess Datenspuren hinterlässt, kann mit intelligenten Verfahren überprüft werden, ob der Prozess selbst so effizient läuft, wie er angedacht war, oder ob es Verbesserungspotentiale gibt. Im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses wird mittels Monitoring und Benchmarking die Prozesseffizienz und -qualität laufend verbessert.
Neben dem reinen Datenschutzgesetz gibt es mittlerweile weitere Regulatorien, welche die Nutzung von Kundendaten durch KI regulieren, wie etwa den EU AI Act. Diese gilt es natürlich zu berücksichtigen. Dies stellt aber nur einen Teil der Governance-Aspekte dar, die es zu beachten gilt. Auch technologische und organisatorische Faktoren spielen eine Rolle. Da diese Aspekte sehr zentral sind, werden wir im letzten Abschnitt noch detaillierter darauf eingehen.
Customer Centricity
Wie oben bereits erwähnt, ist die Customer Centricity das Kernelement von DDI. Wir sehen darin die folgenden Interaktionspunkte: Kundenansprache, -beratung und -service (vgl. Abbildung 2). Unter jedem dieser Interaktionspunkte finden sich vielfältige Anwendungsfälle, die – unterstützt durch Daten und in Verbindung mit KI – ein verbessertes Kundenerlebnis und somit eine bessere Value Proposition ermöglichen.

Abbildung 2: Kundenfokussierung – durch DDI unterstützte Anwendungsfälle
Kundenansprache: Die meisten Versicherer haben in der Vergangenheit eine Omni-Kanal-Strategie vorangetrieben, so dass der Kunde über alle Kanäle durchgängig betreut werden konnte. Die Integration und Synchronisation der Kanäle ist jedoch sehr aufwändig und ein starker Kostentreiber. Insofern erstaunt es nicht, dass nun viele Versicherer primär den digitalen Kanal bewirtschaften und sich einer «Digital First»- oder «Mobile First»-Strategie verschreiben. Damit dieser Kanal aber auch durchgängig genutzt wird, muss der Kunde vollständig über diesen Kanal bedient werden können. In diesem Zusammenhang ist Conversational AI eines der wichtigsten Themen: Kunden sollen bei Fragen nicht in einem Call Center anrufen oder einen Versicherungsagenten fragen müssen, sondern sollen sich völlig natürlich über Texteingabe oder Sprache mit einer KI unterhalten können. Im Unterschied zu den Chatbots, die es noch vor wenigen Jahren gab, ist dies mittlerweile problemlos möglich – und zwar in fast allen beliebigen Sprachen inkl. Schweizerdeutsch. Neben der reinen Auskunft kann die KI im Kundendialog aber auch noch viel mehr bewirken: einerseits lassen sich durch das Auslesen von Tracking-Informationen individuelle Bedürfnisse des Kunden identifizieren, die im Dialog vertieft angeschaut werden können, andererseits lassen sich so auch zusätzliche Schutzbedarfe erkennen, die gegebenenfalls durch zusätzliche Deckungsbausteine abgesichert werden können (Next Best Action).
Kundenberatung: Der Übergang von der Kundenansprache zur Kundenberatung ist, wie eben beschrieben, natürlich fliessend. Auch wenn der ROPO-Effekt (Research Online, Purchase Offline) im Vergleich zu früher sicher zurückgegangen ist, so hat die persönliche Beratung aber weiterhin noch nicht ausgedient. Auch dabei kann DDI hilfreich sein. Zunächst einmal kann KI vom Berater, sei dies im Service Center oder im Aussendienst, eingesetzt werden, um eine schnelle, zusammenfassende Übersicht zu bekommen, wer der Kunde ist und in welcher Beziehung er zum Versicherer steht. Insofern wird das Kundenerlebnis schon einmal verbessert, weil sich der Kunde nicht erst selbst erklären muss. Im Weiteren kann die KI dem Berater auch detaillierte Anhaltspunkte liefern, ob ein Kunde potenziell abwanderungsgefährdet ist. In einem solchen Fall können dann schnell wirksame Massnahmen erörtert werden und im besten Fall wird damit die Kundenbindung sogar erhöht.
Kundenservice: Die Kundenservice-Aktivitäten schliessen wiederum nahtlos an die Kundenberatung an bzw. ergeben sich auch aus der Kundenansprache. So kommt beispielsweise auch wieder Conversational AI zum Einsatz, wenn es um Hilfestellungen und Support geht. Auch im Beschwerdemanagement kann KI zum Einsatz kommen – insbesondere dann, wenn sie auch Komponenten der Sentiment Analyse beherrscht. Der wichtigste Punkt im Bereich Kundenservice ist allerdings das Thema Self Service. Je mehr Aufgaben Kunden selbständig erledigen können, desto weniger benötigen sie teure Infrastruktur, wie zum Beispiel eine Telefon-Hotline oder ein Service Center. Mit Hilfe von Agentic AI, bei der verschiedene KI-Systeme miteinander interagieren, können nun auch komplexere Aufgaben, wie z.B. eine Leistungsprüfung und Auszahlung, autonom und effizient durchgeführt werden, was das Kundenerlebnis deutlich verbessert.
Rahmenbedingungen
Bei all diesen datengetriebenen und KI-unterstützten Aktivitäten sind neben dem verbesserten Kundenerlebnis auch Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, denn KI muss immer auch Anforderungen an Vertrauen und Sicherheit erfüllen, sowie Bedürfnissen der Mitarbeitenden und Kunden gerecht werden. Beim Einsatz von KI referenzieren wir in der Regel auf das Trustworthy AI Framework, das als Baukasten die relevanten Rahmenbedingungen absteckt. Das Framework wurde als Teil des AI for Good-Programms unter dem Dach der ITU (International Telecommunication Union) entwickelt und ist technologieagnostisch. Betrachtet werden die Dimensionen: Externe Faktoren, Organisation und Technologie (siehe Abbildung 3).
Unter die externen Faktoren fallen alle Arten von Regulatorien (z.B. nDSG, EU AI Act), die teilweise durch weitere Zertifizierungen (z.B. ISO 9001, ISO 27001, ISO 41001) und Richtlinien (z.B. Ethik, Fairness) ergänzt werden. Gemeinsam mit dem Kunden wird entschieden, welche Sicherheitsnormen und Qualitätsstandards eingehalten und unternehmensweit angewendet werden sollen.
Diese Sicht deckt allerdings nur einen Teil derjenigen Komponenten ab, die für das Vertrauen in KI massgebend sind. Mindestens ebenso wichtig sind technisch bedingte Faktoren, wie etwa die Robustheit der KI-Modelle, ihre Zuverlässigkeit, ihre Sicherheit und vor allem auch ihre Erklärbarkeit.
Um die Sicht abzuschliessen und eine vertrauensvolle KI aufzubauen, bedarf es schlussendlich auch noch organisatorischer Massnahmen. Diese beinhalten einerseits Schulungen und Trainings sowie Masspunkte zur Qualitätssicherung, andererseits auch Prozesse für das Datenmanagement sowie die Datenausgabe und -darstellung.

Abbildung 3: Trustworthy AI
Fazit
Zusammenfassend sehen wir die rasante Entwicklung der Technologie rund um die Künstliche Intelligenz kombiniert mit dem grossen Datenschatz der Versicherer als den zentralen Treiber für eine Veränderung der Geschäftsmodelle in der Versicherungswirtschaft. In dieser Kombination – wir nennen sie Data Driven Insurance – entstehen neue Angebots- und Servicebausteine, für mehr Individualisierung und Autonomie auf Kundenseite. Dennoch gilt es, die damit verbundenen Rahmenbedingungen nicht ausser Acht zu lassen. Mit Trustworthy AI steht ein Framework zur Verfügung, welche alle relevanten Governance-Aspekte abdeckt.