3. September 2025 von Gabriel Sedlmayer
KI und Nachhaltigkeit: Potenziale, Grenzen und Verantwortung
Künstliche Intelligenz wird derzeit als Lösung für so ziemlich alles gehandelt – von effizienterer Produktion bis zur Rettung des Klimas. Auch in der Diskussion um die UNO-Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals, kurz: SDGs, rückt sie immer stärker in den Fokus. Doch nicht alles, was technisch beeindruckt, ist automatisch auch sinnvoll. In diesem Beitrag werfen wir einen differenzierten Blick auf die Frage, was KI tatsächlich zur Erreichung der einzelnen SDGs beitragen kann – und unter welchen Voraussetzungen. Es geht um Chancen, Grenzen und darum, warum technologische Innovation allein nicht reicht, wenn nachhaltige Wirkung gefragt ist.
Nachhaltigkeit durch KI – zwischen Ambition und Realität
Die Diskussion über KI und Nachhaltigkeit ist von Ambivalenz geprägt. Einerseits ist KI eine zentrale Innovationstreiberin für datenintensive Anwendungsfelder mit hoher Relevanz für die Nachhaltigkeitsziele – von Klima- und Energiedatenanalyse bis hin zu prädiktiver Urbanisierung. Andererseits sind Trainings- und Betriebsprozesse grosser KI-Modelle äusserst ressourcenintensiv, insbesondere im Hinblick auf Stromverbrauch, Hardwarezyklen und Kühlung. Die Leitfrage dieses Artikels lautet deshalb nicht: Ist KI nachhaltig?
Sondern: Unter welchen Bedingungen und in welchen Einsatzfeldern kann KI einen glaubwürdigen Beitrag zu den SDGs leisten, ohne neue ökologische oder soziale Konflikte zu erzeugen?
Die SDGs im Überblick
Die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO definieren die globalen Prioritäten für nachhaltige Entwicklung. Sie umfassen ökologische, soziale und wirtschaftliche Dimensionen und fordern systemische Antworten.

In welchen SDGs kann KI seine Wirkung entfalten?
Nicht jede KI-Anwendung unterstützt automatisch ein Nachhaltigkeitsziel. Wirkung entsteht dort, wo Technologie, Datenverfügbarkeit, gesellschaftlicher und lokaler Kontext sinnvoll zusammenwirken. Im Folgenden eine Auswahl relevanter SDGs mit KI-Bezug:
SDG 3 – Gesundheit und Wohlergehen
Im Gesundheitsbereich kann KI ein breites Wirkpotenzial entfalten – von der Diagnostik über die Therapie bis hin zur Versorgungsplanung. Insbesondere durch Deep Learning in der medizinischen Bildgebung können Erkrankungen wie Krebs oder Schlaganfälle früher und präziser erkannt werden. In Kombination mit Patientendaten und -historien entstehen so Grundlagen für personalisierte Therapien, die besser auf individuelle Risikoprofile und Krankheitsverläufe abgestimmt sind. Auch in der epidemiologischen Modellierung leistet KI wertvolle Dienste: so lassen sich Ausbreitungsmuster von Infektionskrankheiten simulieren, Impfstrategien optimieren oder Engpässe im Pflegebereich vorausschauend erkennen.
In der Schweiz wird KI so zur Unterstützung in der Radiologie, Onkologie und Triage eingesetzt – häufig in Kombination mit Entscheidungsassistenzsystemen, die die ärztliche Arbeit ergänzen, aber nicht ersetzen. Wichtig bleibt: damit KI im Gesundheitswesen verantwortungsvoll wirkt, braucht es transparente Algorithmen, medizinisch validierte Daten und ethische Rahmenbedingungen – insbesondere im Umgang mit sensiblen Gesundheitsinformationen.
SDG 7 – Bezahlbare und saubere Energie
Künstliche Intelligenz spielt eine zunehmend zentrale Rolle bei der Steuerung dezentraler Energiesysteme. Durch prädiktive Analysen und Mustererkennung lassen sich sowohl Stromverbrauch als auch Einspeisung aus erneuerbaren Quellen in Echtzeit modellieren und ausgleichen. KI-gestützte Lastprognosen, Wettermodelle und automatisierte Steuerungen ermöglichen es, Netzbelastungen zu reduzieren und Flexibilitätspotenziale besser auszuschöpfen. Gerade im Schweizer Kontext mit wachsender PV-Einspeisung, steigender Elektrifizierung und der verstärkten Nutzung von Wärmepumpen wird die Fähigkeit, Stromflüsse intelligent und dynamisch zu balancieren, zur Schlüsselanforderung. KI kann hier als digitaler Taktgeber der Energiewende fungieren – vorausgesetzt, sie wird in robuste, interoperable und transparente Systeme eingebettet.
SDG 4 – Hochwertige Bildung
Künstliche Intelligenz kann Bildungszugang und -qualität verbessern. Etwa durch adaptive Lernplattformen, automatisierte Übersetzungssysteme oder KI-basierte Unterstützung für Menschen mit Behinderungen. In mehrsprachigen und heterogenen Gesellschaften helfen solche Technologien, Bildungsangebote zugänglicher, inklusiver und individueller zu gestalten. Voraussetzung ist, dass digitale Infrastruktur, Datenschutz und algorithmische Fairness gewährleistet sind. Denn wo Internetzugang oder stabile Stromversorgung fehlen, bleibt KI ein unrealisiertes Potenzial. Nachhaltige Bildung durch KI heisst deshalb auch, lokale Voraussetzungen mitzudenken, technologische Lösungen sinnvoll zu kontextualisieren und Risiken wie Bias gezielt zu adressieren.
SDG 13 – Klimaschutz
KI unterstützt Klimamodellierung, Emissionsanalysen und Frühwarnsysteme. Kombiniert mit Satellitendaten und Sensorik lassen sich Umweltveränderungen präziser erfassen. In der Schweiz wird KI unter anderem zur klimafokussierten Raumplanung und digitalen CO₂-Bilanzierung eingesetzt. KI wird zunehmend eine wichtige Rolle in Prognosen von Klimaereignissen spielen. Dabei liegt der Fokus auf dem frühen Erkennen von Klimaauswirkungen und einer angemessenen Reaktion und weniger darin, Ereignisse zu verhindern, wie es zum Beispiel beim Ausbau von lokalen Schutzmassnahmen oder der Evakuierung der Fall ist.
SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden
Ob Verkehrsmanagement, Abfallwirtschaft oder Gebäudesteuerung: in vielen Städten haben KI-Systeme grosses Potenzial, um Ressourcen effizienter zu nutzen, Emissionen zu senken und die Lebensqualität urbaner Räume zu verbessern. Die Müllabfuhr kann bedarfsgerecht gesteuert oder Heizungssysteme an Nutzungsverhalten und Wetterprognosen angepasst werden. Die grösste Herausforderung liegt nicht mehr in der Technologie selbst, sondern in ihrer umsetzbaren, interoperablen und datenschutzkonformen Integration in bestehende Infrastrukturen.
SDG 16 – Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
KI kann staatliche und institutionelle Prozesse nicht nur effizienter, sondern auch nachvollziehbarer gestalten. Anwendungen auf Basis von Natural Language Processing (NLP) zur Analyse juristischer Texte, automatisierte Plausibilitätsprüfungen von Förderanträgen oder KI-gestützte Detektionssysteme bei Geldwäscherei und Betrug helfen dabei, komplexe Aufgaben schneller und konsistenter zu bewältigen. Besonders in der öffentlichen Verwaltung entsteht so Potenzial für bessere Datenverwertung, weniger Bürokratie und mehr Transparenz – vorausgesetzt, die Systeme sind prüfbar, erklärbar und ethisch eingebettet.
Systemische Anforderungen an nachhaltige KI-Nutzung
Der nachhaltige Einsatz von KI ist kein rein technisches, sondern ein sozio-technisches Projekt. Er erfordert:
- Governance-Strukturen für Entwicklung und Einsatz
- Technologische Entscheidungen entlang von Nachhaltigkeitskriterien
- Verantwortungsvollen Umgang mit Trainingsdaten: Bias-Vermeidung, Diversität, Fairness
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen IT, Nachhaltigkeit, Recht, Ethik und Business
- Grüne Energie zum Betreiben der Rechenzentren für das Training und den Betrieb der KI und ökologische Herstellung und Beschaffung der Hardware.
Chancen für die Schweiz
Die Schweiz verfügt über einen hohen Digitalisierungsgrad, starke Forschungseinrichtungen und ein stabiles regulatorisches Umfeld – ideale Voraussetzungen, um eine verantwortungsvolle und wirksame KI-Strategie zu entwickeln, die sich an den SDGs orientiert. Gleichzeitig stellt die föderale Struktur hohe Anforderungen an Standardisierung, Governance und Datensouveränität.
Fazit
Künstliche Intelligenz kann helfen, systemische Herausforderungen datenbasiert zu bewältigen – von Themen wie Gesundheit über Energie bis zum Klima. Doch um als Hebel für nachhaltige Entwicklung zu wirken, braucht KI klare Rahmenbedingungen, interdisziplinäre Verantwortung und einen zielgerichteten Einsatz. Unternehmen in der Schweiz haben die Chance, Vorreiter für wirksame, transparente und ethisch verankerte KI-Anwendungen zu werden. Entscheidend ist nicht nur, was technisch möglich ist – sondern, was sinnvoll, wirksam und verantwortbar ist.