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Robo-Advisor (kurz: RoAd), ist der neue Shootingstar der Buzzword-Industrie in den Themenfeldern Finanzanlage, Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Seit mehreren Jahren erfährt die gesamte Branche ein starkes Wachstum. Immer mehr Firmen drängen mit ihren Konzepten zur Finanzberatung, die durch Künstliche Intelligenz (KI) gesteuert sein soll, auf den deutschen, europäischen und internationalen Kapitalmarkt. Die Firmen sprechen vorzugweise Privat- und Kleinanlegende an und sammeln schnell Milliardensummen in Depotwerten ihrer Kundinnen und Kunden ein. Ihre Marketingstrategien, in Verbindung mit den verhältnismäßig geringen Kosten und der Suggestion einer hochtechnologischen, aber spezifischen und individuellen Beratung, treffen den Nerv und die aktuellen Anforderungen der Kundschaft in hohem Maß. Die daraus resultierende Nachfrage löst zurzeit einen regelrechen Hype auf die kleine Nischenbranche aus. Doch wie individuell, günstig, sicher, erfolgsversprechend und vor allem umfangreich durch KI gesteuert ist RoAd tatsächlich?

Finanzberatung vs. RoboAdvisory

Das Themenfeld „Kapitalmarkt und Geldanlage“ ist geprägt durch Schlagworte und Abkürzungen. Unerfahrene Teilnehmende in diesem Markt müssen in der ersten Zeit einen enormen Wissensaufbau betreiben, um hier teilnehmen zu können. Viele Privatanlegerinnen und -anleger haben daran kein Interesse. Sie halten Cash, welches sie investieren wollen, vor und fühlen sich aufgrund der Angebotsvielfalt oft überfordert. Aus diesem Grund entwickelte sich in der Vergangenheit der Unternehmenszweig der Finanzberatung und Vermögensverwaltung. Diese nehmen das Geld der Kundschaft, um es für diese entsprechend ihres Risikoprofils möglichst gewinnbringend am Kapitalmarkt zu investieren. Den Kundinnen und Kunden entstehen im Durchschnitt Kosten von 2% p.a.

Zielgruppe des RoAd

Die Sparte des Robo Advisors (RoAd) hat das Ziel, sich zwischen den eigenständigen Privatanlegerinnen und -anlegern und den Finanzberatenden zu etablieren. Die vollständig unerfahrenen Kleinanlegenden werden in der Regel von ihren Hausbanken betreut. Diese Zielgruppe ist aufgrund des geringen Interesses an Kapitalmärkten und Anlagen und ihrer Unerfahrenheit nur mit unverhältnismäßigem Aufwand auf die Plattformen der RoAd zu bekommen. Das andere Extrem sind die selbstbewussten und informierten Kundinnen und Kunden, die den Service der RoAd aufgrund ihrer eigenen Expertise nicht benötigen. RoAds konzentrieren sich mit ihrem Angebot daher auf interessierte, aber unerfahrenen beziehungsweise schlussfolgernd unsichere Anlegende. Hierbei ist es auch nicht verwunderlich, dass RoAds einen gesamten Schnitt durch die Gesellschaft abbilden. Besonderen Fokus legen die RoAd auf die sogenannte Millennial-Generation (geboren zwischen ca. 1980 und 2000). Diese technisch affine Generation ist deutlich offener gegenüber maschinengesteuerten Entscheidungen und Algorithmen als es die vorherige Generation ist.

In der Bezeichnung RoAd ist der Teil „Robo“ (Abkürzung für „Roboter“) im Sinne seines Wortlautes allerdings nicht vollkommen korrekt. Hier entscheidet nämlich kein Roboter über die Geldanlage der Kundinnen und Kunden, sondern ebenfalls ein Expertenteam. Die Portfolien der RoAds sind daher (genau wie bei traditionellen Finanzberatern) von Menschen und nicht von Maschinen gemacht. Der Automatisierungsanteil der RoAds ist - gegenüber der klassischen Finanzberatung - vor allem in der Kundenberatung zu finden. Um die Kosten der Geldanlage zu reduzieren, schalten die RoAds ein komplexes System zwischen die Fachleute und deren Kundinnen und Kunden. Dieses System gibt Hilfestellungen zur Risikoeinschätzung der Kundschaft. Aus diesem Grund kann die gleiche Anzahl der Kapitalmarktexperten eine höhere Kundenzahl abdecken. Das senkt die Kosten von RoAds auf circa 1%. Hinzu kommen allerdings noch die Kosten der ETFs die seitens des RoAd eingekauft werden.

Die Funktionsweise kurz und knapp erklärt

RoAds sind die digitalen Finanzberater. Bei einem RoAd erhalten Kundinnen und Kunden - im Sinne eines „one stop shops“ - einen umfassenden Service zur Geldanlage. Parallel zur Anlage des Depots wird seitens des RoAds das Risikoprofil der Kundschaft über einen standardisierten Prozess abgefragt und ermittelt. Mit der Kombination aus Risikoprofil und Renditeerwartung erhalten Kundinnen und Kunden dann eine Einschätzung, zu welchem Standardportfolio das RoAd rät. Jeder RoAd betreibt zwischen 10-20 Standardportfolien, die durch Expertinnen und Experten zusammengestellt und entsprechend des Risikos und der Renditeerwartung bewertet werden. Das Matching zwischen Anlegererwartung und Standartportfolio kann daher automatisiert erfolgen. Vereinfacht gesagt sind RoAds daher Finanzberater, die ihren Akquise- sowie Beratungsprozess automatisiert haben.

Wie groß ist der KI-Einsatz tatsächlich?

Mit dem Begriff KI erzeugen die RoAds den größtmöglichen Buzz auf ihre Produkte. Allerdings befindet sich zurzeit keinerlei (starke) KI in den Systemen der RoAds. In Bezug auf die Konzepte zur „schwachen“ KI sind einfachste Algorithmen gemeint, die ein Match zwischen Standardportfolios und persönlicher Risikorendite-Erwartung abdecken. Bei den Systemen, die als KI-gestützte Vorgänge kommunizierten werden, handelt es sich allerdings nur um rudimentär anmutende Abfragen der Datenbanken. Aufgrund der quantitativen und nicht qualitativen Ausgestaltung der Fragebögen, in denen Kunden den Input der User zur Verfügung gestellt bekommen, ist den Developern jede mögliche Kombination der Ausgangssituation bekannt. Es kann daher weder von einer starken, noch von einer schwachen KI beim Einsatz der RoAds gesprochen werden.

Hat RoAd heute Daseinsberechtigung?

Für RoAds ist im Markt sowohl national als auch international eine Zielgruppe erkennbar. Die internationalen Big Player - die USA und der Wachstumsmarkt China - zeigen, dass RoAds auch in Zukunft einen wichtigen Stellenwert in der Finanzanlage von Kleinanlegenden und Privatkundinnen und -kunden haben wird. Für die Zielgruppe der unsicheren Kundschaft, die bei der Hausbank die verhältnismäßig teuren Vermögensverwaltungen ablösen wollen und sich eine selbstständige und vor allem selbstbestimmte Anlage in ETFs nicht zutrauen oder kein Interesse daran haben, ist der RoAd gut geeignet. Auch wenn sie verhältnismäßig teuer und damit wahrscheinlich schlechter ist als die selbstgemachte Vermögensverwaltung (mit entsprechenden Kenntnissen). Herauszustellen ist allerdings, dass Kundinnen und Kunden der Zukunft vor allem Hybridmodelle (RoAd in Kombination mit schnellem persönlichem Kontakt zu Fachleuten) suchen. Diese Modelle haben als Vertriebszweig heute und in Zukunft Wachstumspotenzial.

Das Fundament ist erst der Anfang

Sowohl im B2B- sowie im B2C-Sektor sind die RoAds massivem Innovationsdruck ausgesetzt. Der Digitalisierung-First-Ansatz hat diesen Unternehmen einen hohen Kundenzulauf generiert. Neben der Erweiterung des Nutzungserlebnisses, wie dem bereits genannten Hybridansatz, ist vor allem die Individualisierung der Portfolios notwendig, um dauerhaft konkurrenzfähig zu bleiben. Die Nutzung von wenigen Standardportfolios ist für viele Kundinnen und Kunden in Bezug auf Kosten sicherlich sinnvoll, erhöht aber nicht die Akzeptanz und das Nutzungserlebnis. Kurz bis mittelfristig wird es für RoAds daher von zentraler Bedeutung sein, das Produktportfolio deutlich zu erweitern und die Beratungsprozesse entsprechend zu optimieren. Um im Konstrukt des RoAds eine tatsächliche Outperformance generieren zu können, ist die Öffnung der RoAds gegenüber Einzelwerten in Aktien notwendig. Eines der größten Probleme bei der Bewertung von Einzelwerten ist die Einbeziehung der Umwelt. Faktoren wie Mitbewerber, Markttrends oder der Einfluss von Natur und Regierungen müssen einem System zur Bewertung in lesbaren und vom System verständlichen Daten vorliegen. Dieser unvorstellbar großen Datenmenge muss zudem ein sehr leistungsfähiges System gegenüberstehen, welches die Daten in annehmbarer Zeit scannen, erlernen und verstehen kann. Hierzu gehört vor allem die Investition in immer leistungsstärkere KI-Systeme. Die Ermittlung dieser Daten und die Verarbeitung derselbigen, ist heute der Hemmschuh für die automatisierte Finanzberatung in Einzelwerten, die vom Kunden bis zum Markt durch ein System gesteuert wird.

Zusammenfassung

Ob der Hype um Robo-Adivsors gerechtfertigt ist, ist klar aber differenziert zu beantworten:

  • RoAds haben die definierte Zielgruppe der unerfahrenen und unsicheren Privatanlegenden, der sie einen effektiven und effizienten Service zur Verfügung stellen. Darin ist ihre Daseinsberechtigung begründet.
  • Aufgrund der Anonymität zwischen Anlagefachleuten und Anlegenden wird keine Kundenbindung über persönlichen Kontakt aufgebaut. Die Kundenbindung hängt daher stark von dem Produkt- und Serviceerlebnis des Kunden ab.
  • Der Hype der um die suggerierte KI-Finanzanlageberatung betrieben wird, ist allerdings mehr als Marketing Coup zu betrachten als eine substanzielle Neuerung im Markt.
  • Ein beeindruckendes Produkterlebnis mit personalisierten Produkten, die outperformen können, ermöglicht vor allem die sukzessive Steigerung (echter) KI-Leistung im Ökosystem des RoAd. Hier besteht Nachholbedarf bei den RoAds.

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Bild Pascal  Haucap

Autor Pascal Haucap

Pascal Haucap ist Senior Consultant im Banking-Bereich bei adesso. Als studierter Wirtschaftswissenschaftler befasst er sich seit Jahren schwerpunktmäßig mit den Bereichen Projektmanagement, Projektsecurity, Budget- und Portfoliomanagement sowie mit der Entwicklung digitaler Prozessabwicklung für BackOffice, Controlling und PMO im Bankensektor.

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