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Der Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung (bAV) stagniert in Deutschland seit Jahren und die Entgeltumwandlung ist mittlerweile rückläufig. Diese Beobachtung ist angesichts der demographischen Entwicklung mit seinen Herausforderungen für die umlagefinanzierte gesetzliche Rente bedenklich. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID19-Pandemie führen zusätzlich dazu, dass die bAV in den Hintergrund rückt. Somit ist auch in naher Zukunft keine positive Entwicklung ohne weitere Maßnahmen zu erwarten. Die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ fordert in ihrem Bericht mit Empfehlungen an die Bundesregierung die zusätzliche Altersvorsorge zu stärken und „Opt-Out-Regelungen“ zu prüfen. Ein Kommissionsmitglied mahnt, dass es höchste Zeit sei konkrete Schritte für ein Obligatorium zu unternehmen, da das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) nicht seine erhoffte Wirkung zeigt. So werden gleichermaßen Befürchtungen und Hoffnungen geweckt, dass 2023 ein Obligatorium in der Wirksamkeitsprüfung des BRSG eingeführt werden könne.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Obligatorium im Kontext der bAV?

Bei einer obligatorischen betrieblichen Altersversorgung werden Beschäftigte automatisch in ein bAV-System einbezogen und sorgen für ihren Ruhestand vor. Dabei gibt es verschiedene Ausgestaltungen, ein ausgewogener Kompromiss aus Zwang und positiver Entwicklung auf die bAV-Quote ist das „Opting-Out“. Dafür wird ein Teil des Entgelts eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten vom Arbeitgeber automatisch zur Finanzierung einer betrieblichen Altersversorgung einbehalten. Wünschen Arbeitnehmende keine Entgeltumwandlung, müssen sie widersprechen.

Die Einführung eines „Opt-Out-Obligatorium“ wurde bereits durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz ermöglicht. Durch die Verankerung in Tarifverträgen ist diese Regelung allerdings nicht allen zugänglich und aufgrund der abnehmenden Tarifgebundenheit deutscher Arbeitnehmenden nicht vielversprechend.

Was sind die Vorteile eines Obligatoriums?

Der Positiveffekt eines Obligatoriums auf die Verbreitung der bAV kann mit der Trägheit des Menschen begründet werden. Es ist hinreichend belegt, dass eine automatische Einbeziehung zu einer deutlich erhöhten Teilnahme an einem Vorsorgesystem führt, ohne dass andere Sparformen verdrängt werden. So waren beispielsweise die Widerspruchsraten in Großbritannien nach dem Start des „Opt-Out-Obligatorium“ nur knapp zweistellig.

Durch die größere Menge an Altersvorsorgeverträgen ergeben sich weitere Skaleneffekte für die Institute, die das Altersvermögen verwalten und anlegen. Relative Kosten können gesenkt, Renditen gesteigert und insgesamt eine gesamtwirtschaftlich effektivere Kapitalallokation erzeugt werden.

Psychologisch unterstützt ein Obligatorium ebenfalls die Ausbreitung und damit die Rentenhöhe heutiger Arbeitnehmenden. Aufgrund der Vorauswahl einer Form der bAV wird die Komplexität reduziert. Dies erleichtert die Entscheidungsfindung und eventuelle Informationsdefizite werden durch einen Vertrauenstransfer kompensiert. Zugleich müssen Beschäftigte ihren Arbeitgeber nicht aktiv auf ein Angebot zur bAV ansprechen. Dies ist besonders in kleinen Betrieben ein großes Hemmnis.

Was sind die Nachteile eines Obligatoriums?

Der Verwaltungsaufwand für Arbeitgeber wächst und viele fürchten, dass sie allein diesen Mehraufwand tragen müssen. Nicht zu vergessen ist, dass Beschäftigte ohnehin seit 2002 ein Recht auf Entgeltumwandlung haben und der Arbeitgeber theoretisch in der Lage sein muss dieses auch umzusetzen. Aber mit intelligenten Lösungen, denen wir uns in Teil 2 der Reihe widmen, lassen sich Aufwände reduzieren und bereits bestehende Versorgungen effizienter verwalten. Zusätzlich vereinfacht die Verknüpfung des Obligatoriums mit einem vorausgewählten Standardprodukt die betriebliche Vorsorge. Gelungene Beispiele dafür liefern Neuseeland und Großbritannien.

Ein Argument gegen ein Obligatorium ist die Beschränkung der Privatautonomie durch die Vorgabe zur betrieblichen Vorsorge. So wichtig und schützenswert die Privatautonomie auch ist, hier würde sie durch die Widerspruchsmöglichkeit nur wenig beeinträchtigt werden.

Insofern allerdings jemand aus Geldnot nicht einzahlt, ist es zweifelhaft, dass anderweitig vorgesorgt wird. Dies ist jedoch kein bAV-spezifisches Problem, sondern betrifft die Altersvorsorge allgemein. Somit müssen Geringverdiener ganzheitlich betrachtet und gestärkt werden.

Welches Potential hat ein Obligatorium in Deutschland?

Am Beispiel anderer Länder wird deutlich, welches Potential von ca. 50 bis 60 % Verbreitungsgrad der bAV in Deutschland besteht. Das von 2012 bis 2018 in Großbritannien schrittweise eingeführte „Opt-Out“-System erreicht eine hohe Partizipation von 88 % trotz Möglichkeit zum Widerspruch. In Neuseeland hat sich die weiterhin steigende bAV-Quote in den letzten zehn Jahren durch das in 2007 eingeführte Opt-Out-System verdoppelt und liegt bereits oberhalb der deutschen Durchdringungsrate.

Fazit

Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass Deutschland von anderen Nationen lernen kann der Altersrentenproblematik entgegenzuwirken. Zusätzlich zum erhöhten Leistungs- und Rentenniveau künftiger Betriebspensionäre bringt ein „Opt-Out-Obligatorium“ eine ausgewogenere Quote aus umlage- und kapitalfinanzierter Rente mit sich. Diese Unempfindlichkeit gegenüber der demographischen Entwicklung ist ein wichtiger Schritt zu einer zukunftssicheren Rentenfinanzierung.

In Teil 2 der Reihe „Obligatorium in der bAV“, der im Oktober veröffentlicht wird, betrachten wir, wie die Voraussetzungen geschaffen werden können, damit ein „Opt-Out-Obligatorium“ in Deutschland zum Tragen kommen kann.

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Bild Frederik Julius  Szmania

Autor Frederik Julius Szmania

Frederik Julius Szmania ist als Consultant in der Line of Business Insurance bei adesso tätig. Seit 2017 besitzt er Branchenkenntnisse des Finanzdienstleistungs- und Versicherungssektors und bringt diese in Digitalisierungsprojekten als Business Analyst ein. Darüber hinaus gestaltet er die Community of Practice bAV aktiv mit.

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