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Der elektronische Rechtsverkehr ist eine erste und sehr wichtige Stufe bei der Digitalisierung der Justiz. Über den elektronischen Rechtsverkehr können alle Prozessbeteiligten Artefakte elektronisch und rechtssicher übermitteln. Die zweite Stufe der Digitalisierung ist die ab 01.01.2026 bestehende Verpflichtung zur Führung digitaler Akten in der Justiz.

Der Standard für den elektronischen Rechtsverkehr ist der XJustiz-Standard. Er trägt vielfältigen Anforderungen aus ganz unterschiedlichen Rechtsgebieten Rechnung. Ohne Zweifel bietet der elektronische Rechtsverkehr zahlreiche Vorteile für alle Beteiligten.

In diesem Blog-Beitrag ziehe ich ein Fazit aus fast drei Jahren intensiver Beschäftigung mit dem elektronischen Rechtsverkehr und gehe dabei auf aktuelle technische Herausforderungen ein. Außerdem zeige ich, wie mit den Herausforderungen umgegangen werden kann.

Der Hintergrund des elektronischen Rechtsverkehrs

Der elektronische Rechtsverkehr wurde zum 01.01.2018 durch mehrere Gesetze in Kraft gesetzt, als Konsequenz können seit diesem Stichtag Dokumente gemäß § 130 a Abs. 4 ZPO (Zivilprozessordnung) per sicherem Übermittlungsweg übertragen werden. Durch die Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs ist das Schriftformerfordernis erfüllt.

Seit dem 01.01.2022 sind sog professionelle Einreicher (zum Beispiel Behörden, Anstalten öffentlichen Rechts oder Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte) zur elektronischen Übermittlung verpflichtet.

Technisch erfolgt die Übertragung doppeltverschlüsselt per Simple Mail Transfer Protocol (SMTP). Dokumente werden als Anhang einer Mail übertragen. Zusätzlich sind in einer XML-Datei (xjustiz_nachricht.xml) Meta-Daten enthalten. Die Meta-Daten enthalten unter anderem Informationen zu Aktenzeichen, Verfahrensbeteiligten, gegebenenfalls Prozessbevollmächtigten sowie Beschreibungen zu den übertragenen Dokumenten.

Die Infrastruktur wird durch das ITZBund betrieben. Sogenannte Intermediäre sorgen für den Transport. Alle Teilnehmenden werden zentral registriert, so dass nur vertrauenswürdige Absender Post versenden können.

Technische Herausforderungen für Empfängerinnen und Empfänger im elektronischen Rechtsverkehr

Im elektronischen Rechtsverkehr stehen die Teilnehmenden aktuell vor mehreren Herausforderungen. Diese sind auf die asynchrone Übertragung („fire and forget“) und unzureichende Implementierungen in den bei der Justiz eingesetzten Softwarelösungen zurückzuführen. Bei den betreffenden ausgehenden Nachrichten werden die Daten nicht hinreichend validiert. Um die Gerichte und andere Absender nicht gegen sich aufzubringen, werden invalide Nachrichten nicht regelhaft abgewiesen oder zurückgeschickt.

Hier ist auf Basis meiner Erfahrung eine Zusammenstellung der größten Herausforderungen, ohne Reihenfolge und Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Falsche Klassifikation von Dokumenten
  • Fehlerhafter Umgang mit Signaturen
  • Unzulässige Zeichen in Dateinamen
  • Verwendung eines veralteten XJustiz-Standards

Falsche Klassifikation von Dokumenten

Der XJustiz-Datensatz enthält zu den übertragenen Dokumenten mehrere Klassifikationsmerkmale. Ein Dokument kann aus mehreren PDF-Dateien und gegebenenfalls Signaturen zu den PDFs bestehen. Die Klassifikationsmerkmale sind durch Key-Value-Listen realisiert. Die fehlerhafte Klassifikation betrifft alle Dokumentenklassen, lässt sich aber besonders gut an Beschlüssen veranschaulichen: Aus den Klassifikationsmerkmalen kann abgeleitet werden, ob ein Dokument ein Beschluss, wie etwa ein Urteil, ist. In der Regel sind Beschlüsse mit Rechtsmittelfristen verknüpft, das bedeutet, die Empfängerin oder der Empfänger eines für sie oder ihn negativen Beschlusses hat eine bestimmte Frist für eine Reaktion. Eine falsche Klassifikation führt unter anderem dazu, dass Wiedervorlagen (Aufgaben) für Rechtsmittelfristen nicht automatisch erzeugt werden können. In der Praxis treten sowohl Dokumente auf, die als Beschluss klassifiziert sind, jedoch keinen Beschluss enthalten, als auch Beschlüsse, die zu den „harmlosen“ Klassen „Andere“ oder „Sonstige“ gehören. Da aktuell kein Verlass auf die Klassifikationsmerkmale ist, müssen sämtliche Posteingänge mittels Sichtprüfung klassifiziert bzw. priorisiert werden.

Fehlerhafter Umgang mit Signaturen

Die übertragenen PDF-Dateien können mit einer externen Signatur (als weitere Datei) versehen werden. Hierzu sind im XJustiz-Standard einige Regeln festgelegt:

  • Die Signaturdateien müssen den gleichen Dateinamen wie die zugehörige PDF-Datei tragen, ergänzt um die Dateiendung pkcs7 oder p7s.
  • Insgesamt darf der Dateiname nicht länger als 90 Zeichen sein (gilt auch für die PDF-Dateien).
  • Die Signaturen sind als Kind-Element innerhalb eines Dokument-Knotens zu setzen.
  • Das Klassifikationsmerkmal Bestandteil ist auf Signaturdatei zu setzen.
  • Die Signaturdateien müssen einen Bezug zur zugehörigen PDF-Datei in der XMl-Datei enthalten (als eigenes XML-Element).

In der Praxis treten, insbesondere durch die Begrenzung auf 90 Zeichen, Abweichungen zwischen den Dateinamen auf. Dabei wird die Länge des PDF-Dateinamens auf 90 Zeichen gesetzt, anschließend werden im Dateinamen – mit der Signatur beginnend – von vorne so viele Zeichen entfernt, bis die Länge 90 Zeichen inkl. Dateiendung beträgt.

Auch werden Signaturen übertragen, deren Dateiname keinen Rückschluss auf die übertragenen Dateien zulässt. Dies tritt „regelhaft“ dann auf, wenn die oder der Prozessbevollmächtigte der Gegenseite ihre oder seine Schriftsätze ebenfalls digital signiert. Weiterhin kommen Kombinationen vor, in denen eine der Dateien Leerzeichen enthält, siehe auch „Unzulässige Zeichen im Dateinamen“.

Häufig werden die Signaturdateien als eigener Dokument-Knoten aufgenommen, anstatt sie als Kindelement einzutragen. Ebenso stimmt vielfach das Merkmal „Bestandteil“ nicht.

Das Element für den Bezug zur PDF-Datei fehlt teilweise. Des Weiteren bringen manche Gerichte bei Beschlüssen, an denen mehrere Richterinnen und/oder Richter beteiligt sind, eine elektronische Signatur für jede Richterin beziehungsweise jeden Richter an. Hier wird momentan softwareseitig nur für eine der Signaturen ein Bezug-Knoten aufgenommen. In „freier Wildbahn“ können beliebige Kombinationen der oben genannten Fehler beobachtet werden.

Aus dem fehlerhaften Umgang mit Signaturen ergeben sich mehrere Konsequenzen: Die Validierung der Eingangsdaten schlägt häufig fehl, die Gültigkeit der Signaturen zu den Dokumenten lässt sich nicht oder nur eingeschränkt maschinell prüfen und die Archivierung ist nicht möglich.

Unzulässige Zeichen in Dateinamen

Im XJustiz-Standard ist eine Dateinamenkonvention festgelegt, bei der unter anderem Leerzeichen ausgeschlossen sind. Auch hier ist Murphy’s Law nicht außer Kraft gesetzt: Sowohl bei PDFs als auch bei Signaturen treten – falls nicht maschinell geprüft – Leerzeichen auf.

Verwendung eines veralteten XJustiz-Standards

Der XJustiz-Standard wird jeweils zum 31.10. eines Jahres aktualisiert. Zu diesem Stichtag wird ein neuer Standard gültig, außerdem wird die in einem Jahr gültige Version veröffentlicht. Somit haben die Softwarehersteller und -nutzenden jeweils ein Jahr Zeit, ihre Systeme zu aktualisieren. Für die große Mehrheit der Hersteller und Nutzenden ist dieser Zeitraum ausreichend, sämtliche Gerichte halten den Update-Zyklus ein. Einige wenige Hersteller, deren Software außerhalb von Gerichten eingesetzt wird, schicken XJustiz-Nachrichten jedoch in veralteten Standards.

Werden die Eingangsdaten auf den jeweils gültigen Standard geprüft, können die betreffenden Nachrichten nicht verarbeitet werden.

Empfehlungen zur Mitigation

Die genannten Probleme treten in unterschiedlicher Intensität, abhängig vom Hersteller der Software beim Absender, auf. Ein Großteil der Nachrichten wird fehlerfrei versendet. Die identifizierten Probleme sollten aus naheliegenden Gründen in erster Linie in der Software bei den Versenderinnen und Versendern von XJustiz-Nachrichten gelöst werden.

Empfehlungen für die Dokument-Klassifikation

Die Klassifikation sollte nach der bescheidenen Meinung des Autors regelbasiert und automatisch erfolgen. Folgende generische Empfehlungen können gegeben werden:

  • Wo immer möglich, sollten Klassifikationsmerkmale bereits mit den entsprechenden Dokument-Vorlagen zur Korrespondenzerstellung verknüpft werden. Somit müsste die Entscheidung über die Klassifikation nicht durch die Sachbearbeitung getroffen werden, sondern sie wird einmalig bei Anlage der Vorlage getroffen.
  • Bei Weiterleitung von Dokumenten, zum Beispiel von Rechtsanwältinnen und anwälten, können die bereits vorhandenen Klassifikationsmerkmale als Vorschlagswerte übernommen werden.
  • Signaturen sollten automatisch mit der entsprechenden Klassifikation versehen werden, siehe auch: Empfehlungen für Signatur-Handling.
  • Die Sachbearbeitung sollte bezüglich der Klassifikation sensibilisiert werden. In der Praxis können unterschiedliche Klassifikationen der gleichen Dokument-Art durch dieselben Personen beobachtet werden.
Empfehlungen für das Signatur-Handling

Das Handling der Signaturen kann weitgehend automatisiert werden. Folgende Empfehlungen können gegeben werden:

  • Selbst signierte Dokumente, etwa Beschlüsse, die durch die Richterinnen und Richter signiert werden, sollten idealerweise in einem Workflow der Verwaltungssoftware signiert und korrekt in den XJustiz-Datensatz eingefügt werden.
  • Falls das nicht möglich ist oder eine externe Signatur zusammen mit einem Dokument versendet werden soll, sollten die Nutzerinnen und Nutzer eine Möglichkeit haben, einfach die Signatur mit dem Dokument zu verbinden.
  • Die Dateinamenlänge von 90 Zeichen sollte ausgehend von der Signatur geprüft und gegebenenfalls sollten beide Dateinamen automatisch gekürzt werden.
  • Die Klassifikation der Signaturen sollte anhand der Dateiendung automatisch vorgenommen werden.
Empfehlungen für zulässige Werte im Dateinamen

Sowohl die Dateinamen der PDF-Dokumente als auch die Dateinamen der Signaturen sollten automatisiert auf die Einhaltung der Dateinamenkonvention geprüft und die Dateinamen gegebenenfalls angepasst werden.

Empfehlungen für den Einsatz eines gültigen XJustiz-Standards

Die Ursachen für den Einsatz eines veralteten XJustiz-Standards können vielfältig sein: Der Hersteller hat nicht rechtzeitig ein Update bereitgestellt, die Kundinnen und Kunden haben ihre Software nicht rechtzeitig aktualisiert oder die Software wurde falsch bedient.

Eine Empfehlung für das Versenden von Nachrichten ist, dass die Nutzerinnen oder Nutzer beim Verwenden eines ungültigen Standards eine Warnung erhalten. Auf Empfängerseite sollte die Validierung auch ältere Versionen akzeptieren, da ansonsten bestimmte Nachrichten nicht verarbeitet werden können.

Zukunftsausblick

Diejenigen Bundesländer, die bereits jetzt eine integrierte Software-Lösung für digitale Aktenführung und Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr einsetzen, verschicken Nachrichten in insgesamt höherer Qualität und mit weniger Validierungsfehlern. Insofern bietet die Pflicht zur digitalen Aktenführung die Chance, dass durch eine integrierte Softwarelösung die Datenqualität steigt.

Fazit

Der elektronische Rechtsverkehr ist ein durchaus gelungenes staatliches Digitalisierungsvorhaben. In der Praxis treten (noch) Detailschwächen auf, die sich jedoch vergleichsweise einfach abstellen lassen. Wir bei adesso unterstützen euch gern dabei!

Bild Alexander Zielinski

Autor Alexander Zielinski

Alexander Zielinski berät Unternehmen in den Bereichen Digitalisierung und IT Servicemanagement und hat in diesen Bereichen mehr als 10 Jahre Erfahrung. Sein branchenschwerpunkt liegt in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Kategorie:

Methodik

Schlagwörter:

Digitalisierung

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