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Im Rahmen des Forschungsprojektes VideKIS entwickelt adesso gemeinsam mit weiteren Partnern ein virtuelles Kraftwerk. Hinter diesem Konzept versteht man das Aggregieren von vielen dezentralen Erneuerbare-Energien-Anlagen zu einem virtuellen Kraftwerk – das, bezogen auf die Leistung, mit Atomkraftwerken mithalten kann. Dieser Pool an Anlagen kann gebündelt an Spotmärkten und sogar Regelleistungsmärkten teilnehmen und ermöglicht somit kleinen Anlagen die Überwindung von Marktbarrieren. Ziel ist es, durch den Zusammenschluss von Klein- und Kleinstanlagen die anspruchsvolle Primärregelleistung anzubieten. Primärregelleistung ist eine Form von Regelenergie, die innerhalb von Sekundenbruchteilen aktiviert wird, um unmittelbaren Ungleichgewichten im Stromnetz – beispielsweise durch den Ausfall eines Kraftwerks – entgegenzuwirken. Sie hilft dabei, die Frequenz des Stromnetzes auf einem stabilen Niveau von 50 Hertz zu halten.

Ein zentrales Element des virtuellen Kraftwerks stellt die Entscheidung über die Vermarktung der Anlagen dar. Ziel eines jeden Kraftwerks – ebenfalls bei virtuellen Kraftwerken – ist das Streben nach dem höchsten Umsatz. Insbesondere durch die Vielzahl von unterschiedlichen Märkten muss entschieden werden, wann welches Kraftwerk an welchem Markt platziert wird. Für viele Kraftwerksbetreiber ist diese Entscheidung mit viel Aufwand verbunden, sodass sie ihr Kraftwerk durch einen Dienstleister – zum Beispiel ein virtuelles Kraftwerk – bewirtschaften lassen. Die Entscheidung über die Vermarktungsoption muss sorgfältig getroffen werden, denn der Handel an den Energiemärkten ist mit attraktiven Gewinnen, aber auch Risiken verbunden. Klassischerweise basieren die Entscheidungen auf mathematischen Modellen, die historische Daten, Preis- und Wettervorhersagen sowie KI-Algorithmen nutzen.

Im VideKIS-Projekt wird die Herausforderung einer Vermarktungsentscheidung des virtuellen Kraftwerks mit Hilfe eines Optimierungsmodells gelöst. Ziel soll es sein, basierend auf den Ergebnissen die richtigen Entscheidungen für die Marktplatzierung der Kraftwerke zu treffen und somit menschliche Entscheidungen überflüssig zu machen.

Was versteht man unter einem Optimierungsmodell?

Ein Optimierungsproblem ist ein mathematisches Konzept, vergleichbar mit einer herausfordernden Aufgabe, bei der man aus verschiedenen Lösungsmöglichkeiten diejenige auswählen möchte, die das beste Ergebnis liefert. Diese Aufgabe beinhaltet oft die Suche nach den richtigen Werten für bestimmte Faktoren (Variablen), um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dabei kann man sich vorstellen, dass man vor einer Art Rätsel steht, bei dem man die richtigen Puzzleteile auswählen muss, um ein Bild zu vervollständigen – und dieses Bild ist das gewünschte Ergebnis. Für die meisten Anwendungsfälle empfiehlt es sich zu starten, indem man das Problem in natürlicher Sprache formuliert und erst im Anschluss in mathematische Formulierungen überführt.

Wie sollte man vorgehen bei der Erstellung eines Optimierungsmodells?

Basierend auf den Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt wird im Folgenden ein Best-Practice-Beispiel für die Erstellung eines Optimierungsmodells beschrieben. Zu Beginn müssen die Systemgrenzen des Problems definiert werden, sodass eindeutig festgelegt ist, welche Faktoren und Themen betrachtet werden sollen und welche nicht. Im Forschungsvorhaben werden verschiedene Kraftwerksarten – dazu zählen: Wasserkraftwerke, Windkraftwerke, PV-Anlagen und Batteriespeicher – und der Day-Ahead- und Primärregelleistungsmarkt betrachtet.


Vorgehensweise zur Erstellung eines Optimierungsmodells

Modellentwicklung

Nachdem die Thematik eingegrenzt wurde, ist es wichtig, dass eine Zielfunktion definiert wird, die das zu optimierende Ziel quantifiziert. Diese Funktion hängt von den Variablen ab, die wir beeinflussen können. Diese Variablen sind normalerweise durch bestimmte Beschränkungen (Nebenbedingungen) eingeschränkt, die im Modell berücksichtigt werden müssen. Grundsätzlich kann es sich um ein Maximierungs- beziehungsweise Minimierungsproblem handeln. Typischerweise wird bei der Kraftwerkseinsatzplanung versucht, den Umsatz zu maximieren oder die Betriebskosten zu minimieren. VideKIS verfolgt das Ziel, den Umsatz zu maximieren – und dieser setzt sich zusammen aus der Stromvermarktung am Day-Ahead-Markt und der Bereitstellung von Primärregelleistung.

Nachdem die Zielfunktion formuliert ist, werden Nebenbedingungen eingeführt, die Bedingungen oder Regeln darstellen, die die möglichen Lösungen einschränken. Nebenbedingungen spiegeln reale Beschränkungen oder Randbedingungen wider, die in vielen praktischen Situationen auftreten können. Beispielsweise könnten sie repräsentieren, dass Kraftwerke nur eine begrenzte Leistung besitzen, bei der Stromerzeugung Kosten entstehen oder gewisse regulatorische Anforderungen zu erfüllen sind. Es empfiehlt sich, die Nebenbedingungen für eine bessere Übersicht in thematische Blöcke zu unterteilen. Beispielsweise werden im Forschungsprojekt für jede Kraftwerksart die notwendigen Nebenbedingungen formuliert.

Für die mathematische Beschreibung des Optimierungsmodells spielen Parameter und Variablen eine grundlegende Rolle, denn sie ermöglichen die Definition und Lösung des beschriebenen Problems.

  • Bei Parametern handelt es sich um Werte oder Konstanten, die die Eigenschaften eines Optimierungsproblems beschreiben. Typischerweise beinhalten sie die Informationen über Mengen, Kosten, Kapazitäten oder weitere feste Größen. An diesen Werten kann nichts verändert werden, sodass sie konstant bleiben.
  • Dem gegenüber stehen Variablen, denn diese stellen die unbekannten Größen dar, die es im Optimierungsmodell zu lösen gilt. Demnach sind sie die Voraussetzungen für die Entscheidungen (zum Beispiel, ein Kraftwerk liefert Strom oder liefert keinen Strom), die im Rahmen des Optimierungsmodells getroffen werden können, um das gewünschte Ziel zu erreichen.

Optimierungsmodelle können sehr einfach oder äußerst komplex sein, je nach der Natur des Problems, das gelöst werden soll. Demnach existieren eine Vielzahl von verschiedenen Arten von Optimierungsmodellen:

  • Lineare Programmierung
  • Nichtlineare Programmierung
  • Gemischt-ganzzahlige lineare Programmierung
  • Dynamische Programmierung
  • Stochastische Optimierung

Die Art und Weise, wie die Modellierung der Zielfunktion und der Beschränkungen erfolgt, ist abhängig von der jeweiligen Problemklasse und entscheidend für den Erfolg bei der Lösung des Problems.

Lösen des Optimierungsmodells

Nachdem das Optimierungsmodell durch eine Zielfunktion und die gewünschte Anzahl an Nebenbedingungen in mathematischer Schreibweise formuliert wurde, kann sich der Frage gewidmet werden: Wie löst man ein solches Problem?

Zunächst muss eine geeignete Modellierungssprache – etwa GAMS, CPLEX oder GUROBI – gewählt werden, die es ermöglicht, die mathematischen Formeln in Code-Zeilen zu überführen. Nachdem das Optimierungsmodell in einem Computercode beschrieben wurde, kann es mit Hilfe eines mathematischen Solvers gelöst werden. Dabei stellt ein Solver ein spezialisiertes Software-Tool dar, das das entwickelte Modell übergeben bekommt und nach der besten Lösung sucht. Dabei nutzt der Solver verschiedene Algorithmen, um die möglichen Lösungen systematisch zu berechnen. Dieses Vorgehen beruht zum Großteil darauf, dass verschiedenste Kombinationen von Variablenwerten getestet werden. Am Ende werden die Werte zurückgeliefert, welche die Zielfunktion maximieren bzw. minimieren, während die Nebenbedingungen erfüllt bleiben. Bei den Solvern gibt es bedeutende Unterschiede in deren Performanz – meistens liegt dies darin begründet, dass es sowohl kommerzielle als auch nichtkommerzielle Solver gibt.

Interpretation und Validierung des Optimierungsmodells

Nachdem eine oder mehrere Lösungen für das Optimierungsmodell gefunden wurden, müssen mit Hilfe von Analysen die Ergebnisse überprüft werden. Hierbei ist sicherzustellen, dass die gefundene optimale Lösung sinnvoll im Kontext des ursprünglichen Problems ist. Des Weiteren sollten verschiedene Testdatensätze zum Einsatz kommen, um die Funktionsweise des Modells und die Ergebnisse zu validieren. Darüber hinaus eignen sich – insbesondere bei der Einsatzplanung von Kraftwerken – Schaubilder, um etwa die Fahrweise des Kraftwerks zu visualisieren.

Ausblick

Der Einsatz von Optimierungsmodellen betrifft jede Branche und ermöglicht die Lösung von komplexen Problemen in kurzer Zeit. Allerdings erfordert die Erstellung eines Optimierungsmodells ein breites Fachwissen, mathematisches Verständnis sowie Programmierkenntnisse. Falls ihr vor ähnlichen Herausforderungen steht, dann meldet euch gerne. Oder besucht uns auf der Smart Country Convention 2023 und kommt mit unseren Expertinnen und Experten ins Gespräch.

Bild Simon Bächle

Autor Simon Bächle

Simon Bächle ist Berater für die Line of Business Utilities bei adesso. Seine Arbeitsschwerpunkte bilden das agile Projektmanagement sowie die Anwendung von Data Science in der Energiewirtschaft. Darüber hinaus beschäftigt er sich als Business Analyst im Forschungsprojekt VideKIS mit der Entwicklung eines neuartigen virtuellen Kraftwerks.

Kategorie:

Branchen

Schlagwörter:

Energiewirtschaft

VideKIS

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