7. Dezember 2022 von Dr. Jochen Benini und Valerie Thülig
So nah und doch so fern - wie gute Zusammenarbeit im Offshoring gelingt
Es klingt so schön einfach: Man rekrutiert ein Team von Mitarbeitenden über einen Offshore-Partner in Indien. Für einen Bruchteil der Kosten, die man bei einem Inhouse-Projekt aufwenden müsste, erhält man die gleiche Leistung. Doch warum funktioniert diese Idealvorstellung oft nicht? Das wollen wir hier anhand von einigen zentralen Herausforderungen beleuchten.
Was versteht man unter Offshoring? Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert Offshoring als Verlagerung betrieblicher Aktivitäten ins Ausland. Es gibt mit Nearshoring und Farshoring eine begriffliche Unterteilung für eine geografisch nahe oder weite Auslagerung ins Ausland. Der Begriff Outsourcing an sich bezieht sich auf die organisatorische Auslagerung und weniger auf geografische Aspekte.
Was macht das Ganze nun so herausfordernd?
Unternehmen, die Projekte zu Offshore-Partnern outsourcen, müssen sich auf kulturelle Unterschiede einlassen und realistische Erwartungen hinsichtlich Budgets und Zeithorizont mitbringen. Sie stehen vor zahlreichen Hürden und Herausforderungen, die das Offshore-Projekt bereits am Anfang scheitern lassen können. Mit diesen Herausforderungen wollen wir uns im Folgenden beschäftigen und ehrlich auseinandersetzen.
Herausforderung 1: Die Anforderungen an die Qualität entsprechen nicht den Erwartungen
Man hört Horrormeldungen von explodierenden Kosten und Offshore-Partnern, die scheinbar qualitativ nicht die gleichen Arbeitsergebnisse liefern, die man von Inhouse-Projekten gewohnt ist. Doch woran liegt das?
Mitarbeitende bei Offshore-Partnern verfügen in der Regel über ein vergleichbares Skillset im Hinblick auf Ausbildung und Zertifizierungen. Bei spezifischen fachlichen Themen kann hingegen nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Prozesse und fachliches Geschäft im Ausland identisch mit den heimischen Gegebenheiten sind, teilweise gibt es sogar keine vergleichbaren Sachverhalte.
Lösung:
Der Detaillierungsgrad der projektrelevanten Dokumentationen sollte ausführlicher sein als bei einem Inhouse-Projekt, um weniger Spielraum für Interpretationen und damit mögliche Fehler zu lassen. Spezifikationen sind mit den Offshore-Partnern zu besprechen und offene Fragen im Vorfeld zu klären. Um das notwendige Domänenwissen zu vermitteln, können Präsentationen, Schulungen und Workshops hilfreich sein. Denn erst wenn der Offshore-Partner verstanden hat, was gefordert ist, hat dieser eine „faire“ Chance, die Erwartungen zu erfüllen.
Herausforderung 2: Es gibt keine Transparenz
Im klassischen Softwareentwicklungsmodell werden Projekte aus der Hand gegeben und es wird ein fertiges Ergebnis erwartet – doch das ist leider nicht immer zielführend. Bis zum Abgabetermin herrscht keine Klarheit darüber, was beim Offshore-Partner passiert. Hier ist das interne Projektmanagement gefordert.
Lösung:
Offshore-Projekte dürfen zu keinem Zeitpunkt vollständig aus der Hand gegeben werden und die Verantwortung sollte intern verankert bleiben. Die Überprüfung der Qualität des jeweiligen Arbeitstandes schützt vor negativen Überraschungen.
Durch gemeinsam abgestimmte Prozesse sowie die Anwendung von agilen Methoden können Probleme frühzeitig erkannt und die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden. So kann zum Beispiel durch den Einsatz agiler Regelmeetings wie Sprint Reviews mehr Transparenz geschaffen werden. Man lernt im Gegenzug auch die Arbeitsweise der Mitarbeitenden des Offshore-Partners kennen und kann sich darauf einstellen.
Feste Projektleitende (Brückenköpfe) auf beiden Seiten vereinfachen die Kommunikation in und mit den Teams. Diese sollten im Idealfall immer, aber zumindest zu Projektbeginn und in kritischen Phasen, vor Ort sein. Durch ihre Anwesenheit können die Kommunikationswege weiter verkürzt und beschleunigt werden.
Herausforderung 3: Rechtliche Rahmenbedingungen/Vorgaben
Innerhalb der EU gelten vergleichsweise strenge Anforderungen hinsichtlich des Datenschutzes und auch der IT-Sicherheit, die bei der Umsetzung von Offshore-Partnern nicht immer erfüllt werden können.
Lösung:
Vor der Projektinitiierung, noch besser während der Angebotsphase, sollten solche technischen Anforderungen abgesteckt und validiert werden, um den passenden Anbieter bzw. die passende Umsetzungsweise zu bestimmen. Über technologische Vorkehrungen, wie zum Beispiel Anonymisierung von Testdaten, sowie spezielle Kundenverträge kann aber hier Abhilfe geschaffen werden. Erforderliche Vorlaufzeiten sind in der Projektplanung zu berücksichtigen.
Herausforderung 4: Kulturelle Unterschiede
Oft ist das Sich-Einlassen auf die neuen Kolleginnen und Kollegen beim Offshore-Partner eine Herausforderung für Mitarbeitende im Inland. Ebenso stehen die Offshore-Teams vor zwischenmenschlichen Herausforderungen. Auch wenn durch die fortgeschrittene Globalisierung die Grenzen zunehmend verschwimmen, gibt es weiterhin Rahmenbedingungen, Verhaltensweisen, Weltanschauungen und Traditionen, die gegenseitig respektiert werden müssen. Außerdem können auch äußere Umstände wie Zeitverschiebung und andere Arbeitszeiten Probleme bereiten.
Lösung:
Die Mitarbeitenden müssen sich auf die neuen Teammitglieder einlassen. Dazu sollten sich vor dem Start eines Offshore-Projekts alle Beteiligten mit den kulturellen Verhaltensweisen des anderen Landes vertraut machen. Das gegenseitige Ansehen muss gewahrt bleiben. Das verteilte Team sollte sich am besten bei Events wie beispielsweise bei einem gemeinsamen Workshop oder einem Teambuilding-Event kennenlernen. Auch wenn ein persönliches Treffen stets zu bevorzugen ist, um ein Gefühl von Vertrautheit zu erzeugen, kann es auch virtuell stattfinden. Wenn man sein Gegenüber kennt, kann man besser auf die andere Person eingehen und die Zusammenarbeit wird einfacher.
Herausforderung 5: Der Fokus liegt zu stark auf dem niedrigsten Angebot
Ein Hauptgrund für das Scheitern von Offshore-Projekten ist, dass viele Unternehmen zu blauäugig an die Sache herangehen. Unternehmen, die den Offshore-Partner nur anhand des Kriteriums „niedriger Preis“ wählen, können davon ausgehen, dass das Projekt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit scheitern wird.
Oft begründet sich ein sehr günstiger Preis dadurch, dass die zu erbringende Leistung unterschätzt wird oder die Anforderungen nicht vollumfänglich verstanden wurden, weil das notwendige Wissen nicht beim Offshore-Partner vorhanden ist.
Lösung:
Offshore-Projekte sollten nicht nur als Instrument der Kosteneinsparung betrachtet werden, sondern vielmehr als Chance, mit hervorragenden Teams zusammenzuarbeiten, die es zum Teil im Inland aufgrund des Fachkräftemangels nicht gibt oder die aktuell nicht verfügbar sind.
Fixe Budgets und fixe Projektlaufzeiten sind je nach Projekt ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor. Häufig ändern sich während der Projektlaufzeit die Vorgaben oder Anforderungen. Damit der Offshore-Partner eine Möglichkeit hat, auf diese geänderten Rahmenbedingungen zu reagieren, ist eine Abrechnung nach Zeitlohn eine bessere Alternative. Dann ist auch Sparen möglich, ohne auf Qualität zu verzichten.
Herausforderung 6: Kommunikation
Bei der Kommunikation warten weitere mögliche Fallstricke. So wird in einigen Kulturkreisen Nachfragen als Zeichen von Schwäche und Inkompetenz angesehen. Dadurch kann es beispielsweise passieren, dass kritische Bugs oder Defects nicht kommuniziert werden.
Lösung:
Diese Angst muss man dem Gegenüber nehmen und zum Nachfragen ermutigen. Ein Brückenkopf kann zur Erleichterung der Kommunikation beitragen. Da diese Person aus dem gleichen Kulturkreis und Unternehmen kommt, hat sie ein Verständnis dafür, wie sie kritische Themen passend adressieren kann.
Herausforderung 7: Anspruchsvolle Projekte
Eine der häufigsten Fehleinschätzungen bei Offshore-Projekten ist, dass eine Spezifikation mit der Erwartungshaltung abgegeben wird, dass das Arbeitsergebnis perfekt ist und die Kosten von Beginn an deutlich reduziert werden. Mitarbeitende beim Offshore-Partner sind kostengünstiger, aber benötigen im Gegenzug gerade in der Anfangsphase mehr fachlichen Support. Dieser anfängliche Mehraufwand amortisiert sich im Laufe des Projektes und im Laufe der Jahre. Eine Zusammenarbeit mit Offshore-Partnern sollte daher längerfristig gedacht und schrittweise ausgebaut werden.
Lösung:
Für den Start eignet sich ein unkritisches Projekt als Proof of Concept, um eine mögliche längere Zusammenarbeit zu verproben. Hier können erste Erfahrungen gesammelt und die Zusammenarbeit kann iterativ optimiert werden. Damit dieser erste Testballon erfolgreich ist, ist eine enge Zusammenarbeit sowie zeitliches und qualitatives Controlling erforderlich. Auch die Kommunikation sollte engmaschig geführt werden. Sobald sich beide Seiten als verlässlich erwiesen haben, sind mehr Freiheiten und selbstständiges Arbeiten möglich.
Wenn ein solches Pilotprojekt erfolgreich war und gegenseitiges Vertrauen besteht, können größere Projekte in Angriff genommen werden – und zwar mit jenen Projektleitenden im Inland und beim Offshore-Partner, die das erste erfolgreiche Projekt begleitet haben.
Fazit
Es gibt viele mögliche Fallstricke bei Offshore-Partnerschaften, aber im Gegenzug auch viele Vorteile. Die Zusammenarbeit funktioniert nur über eine zugrundeliegende Strategie im eigenen Haus, den passenden Offshore-Partner und ein detailliertes, strenges, aber vor allem faires Controlling des Projekts. Der Aufbau einer Partnerschaft auf Augenhöhe mit gegenseitigem Respekt wird zur Förderung der Motivation führen. Unternehmen, welche die oben genannten Punkte beherzigen, werden schnell die Vorteile und Chancen des Offshoring in die eigene IT-Strategie einbinden können und langfristig davon profitieren.
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