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In der sich stetig entwickelnden digitalen Gesundheitswelt spielt der „Leitfaden Prävention“ des GKV-Spitzenverbands eine zentrale Rolle. Er dient als maßgeblicher Richtlinienkatalog, der die Standards und Anforderungen für Präventionsmaßnahmen in Deutschland festlegt.

Insbesondere in Zeiten, in denen digitale Gesundheitslösungen immer mehr an Bedeutung gewinnen, bietet der Leitfaden eine klare Orientierungshilfe. Er definiert, was unter qualitativ hochwertigen Präventionsangeboten zu verstehen ist und wie diese in der Praxis umgesetzt werden sollten. Mit diesem Hintergrundwissen können wir uns nun den spezifischen Aspekten von Präventions-Apps zuwenden.

Was sind Präventions-Apps?

Präventions-Apps sind digitale Tools, die das Ziel verfolgen, das Gesundheitsbewusstsein von Nutzerinnen und Nutzern zu stärken und Krankheiten proaktiv zu verhindern. Im siebten Kapitel des Leitfadens Prävention werden sie als „digitale Präventions- und Gesundheitsförderungsangebote“ definiert. Sie können als Internet-Interventionen, mobile Apps oder in hybriden Trainingsformaten auftreten, wobei sie folgendermaßen definiert sind:

  • a. Internet-Intervention: Gesundheitsförderungsprogramme, die in der Regel in einem regelmäßigen Rhythmus und anhand fester (zeitlicher) Einheiten, meist an einem Laptop beziehungsweise Desktop-Computer oder einem Tablet, durchgeführt werden.
  • b. Mobile Apps: Apps, deren Trainingskonzept auf regelmäßige, meist tägliche Einübung eines umschriebenen Gesundheitsverhaltens abzielt.
  • c. Hybrides Trainingskonzept: kombiniert eine Internet-Intervention mit einer längerfristigen mobilen Anwendung.

Seit Juli 2021 decken gesetzliche Krankenversicherungen laut Kapitel 5 des Leitfadens Prävention neben der bereits bestehenden Kostenübernahme für physische und Online-Präventionskurse nun auch diese rein digitalen Angebote ab, die der Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Dies ist durch die Neuregelung des siebten Kapitels festgelegt.

Wie unterscheiden sich Präventions-Apps von anderen frei zugänglichen Health Apps?

Viele Health Apps bieten allgemeine Gesundheitsinformationen, Tipps oder Tools zur Verfolgung von Fitnesszielen. Präventions-Apps hingegen fokussieren sich auf evidenzbasierte Maßnahmen und Programme zur Gesundheitsförderung. Ein markanter Unterschied ist auch ihre Zertifizierung: Gemäß Kapitel 7 des Leitfadens Prävention müssen Präventions-Apps strenge Qualitäts- und Zertifizierungsstandards erfüllen, um von Krankenkassen anerkannt und erstattet zu werden.

Der Zertifizierungsprozess gliedert sich in zwei Phasen:

  • a. Konzeptanerkennung: Zunächst muss ein konzeptioneller Ansatz vorgelegt werden, der sich auf ein bestimmtes Handlungsfeld oder Präventionsprinzip bezieht. Wenn der gesundheitliche Nutzen durch eine Studie noch nicht nachgewiesen ist, kann das Konzept bei Erfüllung aller anderen Kriterien und Vorlage des Studiendesigns vorläufig für ein Jahr anerkannt werden. Sobald der Nutzen durch die Studie bestätigt ist, verlängert sich die Anerkennung auf insgesamt drei Jahre. Ist der Nutzen bereits belegt, wird die Anerkennung direkt für drei Jahre gewährt.
  • b. Zertifizierung des digitalen Angebots: Auf Grundlage des anerkannten Konzepts können Anbieter die Überprüfung und Zertifizierung ihres digitalen Präventions- oder Gesundheitsförderungsangebots beantragen. Nach erfolgreicher Zertifizierung wird das Angebot auf den Webseiten der Krankenkassen gelistet.

Welche Schwerpunkte setzen Präventions-Apps?

Präventions-Apps bieten eine breite Palette an Themen zur Gesundheitsförderung und Prävention, die sich an den Handlungsfeldern der verhaltensbezogenen Prävention gemäß § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V orientieren.

Die zentralen Handlungsfelder sind:
  • Bewegungsgewohnheiten auf Basis der Präventionsprinzipien:
  • Reduzierung von Bewegungsmangel durch gesundheitssportliche Aktivitäten
  • Vorbeugung gegen spezifische gesundheitliche Risiken durch geeignete Bewegungsprogramme
Ernährung auf Basis der Präventionsprinzipien:
  • Vermeidung von Mangel- und Fehlernährung
  • Reduktion und Vermeidung von Übergewicht
Stressmanagement mit den Präventionsprinzipien:
  • Ausbau von Stressbewältigungskompetenzen
  • Förderung von Entspannungstechniken
Suchtmittelkonsum auf Basis der Präventionsprinzipien:
  • Förderung des Nichtrauchens
  • Gesundheitsbewusster Umgang mit Alkohol und Reduzierung des Konsums

Wie wird der gesundheitliche Nutzen digitaler Präventions-Tools nachgewiesen?

In der digitalen Gesundheitslandschaft ist die Evidenz für die Wirksamkeit von Anwendungen entscheidend. Für Präventions-Apps bedeutet dies, dass sie nicht nur funktionieren, sondern auch nachweislich zur Gesundheitsförderung beitragen müssen. Dieser Nachweis ist nicht nur für die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer von Bedeutung, sondern auch für die formelle Anerkennung und Zertifizierung durch offizielle Stellen. Doch wie wird dieser gesundheitliche Nutzen konkret nachgewiesen und welche Kriterien müssen erfüllt sein?

Vorläufige Zertifizierung:
  • Eine einjährige Zertifizierung ist auch ohne finale Studie möglich.
  • Das Studiendesign muss jedoch vorgelegt werden.
  • Innerhalb dieses Jahres ist ein Wirksamkeitsnachweis für eine dreijährige Zertifizierung erforderlich.
Kriterien für die Zertifizierung:
  • Ein reiner Wirksamkeitsnachweis genügt nicht.
  • Weitere Anforderungen sind Trainingskonzepte, Datenschutzrichtlinien und Ausschlusskriterien.
Details zur Studie:
  • Es wird zwischen therapeutischem und präventivem Nutzen unterschieden.
  • Das PICO-Schema unterstützt bei der Darstellung der Studiendetails.
  • Das Studienprotokoll muss öffentlich zugänglich sein.
  • Verschiedene Studientypen sind anerkannt, wobei qualitative Studien nicht berücksichtigt werden.
Stichprobengröße und Ethik:
  • Die Stichprobe sollte die Zielgruppe widerspiegeln.
  • Bei sensiblen Gruppen ist eine Ethikkommission erforderlich.
Nutzungsintensität:
  • Angaben zur minimalen Nutzungshäufigkeit sind notwendig und beeinflussen die Erstattungsfähigkeit.

Welche regulatorischen und technischen Vorgaben gelten für Präventions-Apps?

Die Schaffung einer Präventions-App ist kein einfacher Prozess. Sie muss strengen regulatorischen und technischen Anforderungen entsprechen, um sowohl die Sicherheit der Nutzerinnen und Nutzer als auch die Qualität der Inhalte zu gewährleisten. An dieser Stelle gebe ich euch einen Überblick über die wichtigsten Punkte:

ISO-Zertifizierung:
  • Ab 2025 ist die Zertifizierung des Informationssicherheits-Managementsystems gemäß ISO 27001 Pflicht.
  • Bei Einsatz von Cloud-Services muss der Cloud-Anbieter nach ISO 27018 zertifiziert sein.
  • Die ISO-Norm 27034 für sichere Softwareentwicklung sollte als Richtlinie dienen.
DSGVO-Konformität:
  • Eine Datenschutzfolgenabschätzung gemäß Artikel 35 EU-DSGVO ist obligatorisch, wobei eine Publikation optional ist.
  • Datenübertragungen in Drittländer sind nur unter spezifischen Bedingungen zulässig.
  • Single-Sign-on-Funktionen, insbesondere auf Basis von Anwendungen von US-Anbietern, sollten transparent gehandhabt oder vermieden werden.
Norm EN ISO 9241 zur Mensch-Computer-Interaktion:
  • Anbieter sollten sich an den Teilen 10 und 11 dieser Norm orientieren, die Dialoggestaltung und Gebrauchstauglichkeit betreffen.

Die Befolgung dieser Richtlinien garantiert eine App, die funktional, benutzerfreundlich und datenschutzkonform ist.

Wie erfolgt die Antragstellung für Präventions-Apps?

a. Antragstellung

Bevor ihr in den Prüfprozess eintaucht, ist die korrekte Antragstellung entscheidend. Ein vollständiger Antrag sollte folgende Komponenten beinhalten:

  • Grundlagen: Ein Trainingskonzept, das klare Ziele und Zielgruppen definiert.
  • Inhalt: Detaillierte Beschreibung der Endpunkte im Trainingskonzept, ein Nutzerbeispiel und ein Testlink zur Anwendung.
  • Support: Ein FAQ-Handbuch und Infos zur persönlichen Nutzerunterstützung.
  • Datenschutz: Eine Datenschutzfolgeabschätzung, die DSGVO-Konformität bestätigt.
  • Evidenz: Belege zur Wirksamkeit und ggf. ein Studienkonzept, inklusive eines Links zur Studienregistrierung.
  • Zusatzinfos: Infos für Versicherte, Bedienhilfen, Teilnehmermaterialien und Quellenangaben.
  • Verpflichtungen: Bei einjähriger Zertifizierung ist eine Selbstverpflichtung zur Studieneinreichung und zur Bereitstellung weiterer Gesundheitsinformationen notwendig.
b. Zertifizierung

Nach sorgfältiger Prüfung des Antrags und der Unterlagen steht die Zertifizierung an. Diese kann für drei Jahre (bei vollständiger Evidenz) oder ein Jahr (bei vorläufiger Evidenz) gewährt werden.

Lohnt sich die Investition in Präventions-Apps?

Die Entwicklung und Zertifizierung einer Präventions-App kann sich durchaus auszahlen, insbesondere wenn man die Erstattung durch Krankenkassen und den potenziellen Marktbedarf betrachtet:

  • Kostenerstattung: Krankenkassen können die Kosten für eine zertifizierte App vollständig übernehmen, was einen großen Anreiz für Nutzerinnen und Nutzer schafft.
  • Wirtschaftlichkeit: Trotz anfänglicher Zertifizierungskosten könnten sich diese innerhalb eines Jahres amortisiert haben. Schätzungen zufolge könnten Einnahmen von circa 400.000 Euro bei überschaubaren Zertifizierungskosten generiert werden, mit Selektivvertragspartnern in der Kassenlandschaft.
  • Herausforderungen: Das Anerkennungsverfahren kann komplex sein und Nutzerinnen und Nutzer müssen oft in Vorleistung treten.

Abschließend kann man festhalten: Trotz bürokratischer Hürden und Herausforderungen kann die Entwicklung und Zertifizierung einer Präventions-App ein lohnendes Investment sein, vor allem angesichts der Unterstützung durch Krankenkassen und der wachsenden Nachfrage.

Denkt ihr darüber nach, eine Präventions-App zu entwickeln? Oder seid ihr gerade mittendrin und steht vor einer scheinbar unüberwindbaren Hürde? Wir begleiten euch dabei Schritt für Schritt – von der Idee bis zur Umsetzung.

Weiterführende Infos zum Leitfaden Prävention findet ihr hier: Leitfaden Prävention – Handlungsfelder und Kriterien nach § 20 Abs. 2 SGB V

Bild Kismet Ekinci

Autor Kismet Ekinci

In seiner Rolle bei adesso verantwortet Kismet das Business Development im Bereich Personal Health. Als erfahrener Gesundheitsökonom bringt er mehr als zehn Jahre Erfahrung aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitsmarktes mit. Sein breiter Hintergrund umfasst Tätigkeiten in innovativen Startups, etablierten Krankenversicherungen, Forschung und Industrie und ermöglicht ihm einen ganzheitlichen Blick auf das Gesundheitswesen.

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