Menschen von oben fotografiert, die an einem Tisch sitzen.

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Der Begriff Ökosystem wird häufig und gerne in diversen Kontexten verwendet, aber was steckt wirklich dahinter? Ist es etwas Hochkomplexes? Sind Ökosysteme, die als solche bezeichnet werden, tatsächlich Ökosysteme oder sind es eher Plattformen? Schauen wir uns dazu die Definition eines Ökosystems, aber auch bestehende Ökosysteme in verschiedenen Ausprägungen an.

Definition von Ökosystem

Laut Wikipedia wird es wie folgt definiert: „Ökosystem (altgriechisch οἶκος oikós ‚Haus‘ und σύστημα sýstema ‚das Zusammengestellte‘, ‚das Verbundene‘) ist ein Fachbegriff der ökologischen Wissenschaften. Ein Ökosystem besteht aus einer Lebensgemeinschaft von Organismen mehrerer Arten (Biozönose) und ihrer unbelebten Umwelt, die man als Lebensraum, Habitat oder Biotop bezeichnet.“ Wälder oder Meere stellen natürliche Ökosysteme dar, künstliche Ökosysteme werden von Menschen geschaffen. Dies können angelegte Wälder oder auch Städte sein.

Im Zuge der Digitalisierung ist der Begriff Ökosystem auf Unternehmen und Menschen übertragen worden. In diesem Rahmen definiert Wikipedia es wie folgt:

„Ein Ecosystem im wirtschaftlichen Sinn beschreibt einen Verbund von Unternehmen (typischerweise drei bis circa zehn), die durch einen Orchestrator auf eine gemeinsame Wertschöpfung ausgerichtet werden. Dabei übersteigt die Leistung des gesamten Ecosystems aus Sicht der Kundinnen und Kunden die Summe der Einzelbeiträge aller Beteiligten.“

Ein Ökosystem ist also nichts anderes als eine Art Netzwerk, in dem mehrere Akteure Services bereitstellen und deren Vernetzung einen Mehrwert für bestimmte Lebenssituationen einer Person generiert. Das pure Nebeneinander von Services auf einer Plattform ist demnach noch kein Ökosystem, weil der entscheidende Punkt „Mehrwert durch Vernetzung der verschiedenen Services“ fehlt.

Beispiele für Ökosysteme in der Wirtschaft

Es gibt eine Vielzahl an Ökosystemen, auch in Deutschland, die die Bezeichnung Ökosystem nicht tragen. Hierzu zählt beispielsweise der Amazon Marketplace. Unternehmen können auf dem Marketplace Waren anbieten, die auch im Amazon Store angeboten werden. Für die Käuferinnen und Käufer ist es nicht direkt ersichtlich, da der Marketplace in erster Linie den Schwerpunkt auf die Verfügbarkeit der Waren legt. Amazon verdient entweder am eigenen Produkt oder an einer Provision. Der einzelne Produktanbieter ist zufrieden mit dem Absatz des Produktes, egal auf welchem Weg dieser erfolgt. Die Mehrwerte für Käuferinnen und Käufer sind deutlich – zum einen ist die Ware verfügbar und zum anderen muss sie oder er nicht auf diversen Plattformen suchen. Der Kaufabschluss erfolgt unabhängig vom Anbieter immer auf die gleiche Art und Weise. Weitere Beispiele bekannter Ökosysteme sind Alibaba, Airbnb, mydays, MyHammer oder auch Immoscout, wo nicht nur Immobilien, sondern auch Wertgutachten und Musterverträge als ergänzende Services sowie Informationen zu verfügbaren Bandbreiten angeboten werden.

In der Versicherungswirtschaft gibt es ebenso einige Beispiele für Ökosysteme, die den Begriff Ökosystem nicht im Namen tragen. Die HUK-Autowelt bietet neben dem Autokauf und -verkauf auch eine Fachhändlersuche, die Möglichkeit zur Vereinbarung von Serviceterminen und Auto-Abos inklusive Versicherung und Wartung an. Der asiatische Versicherer PingAn hat gleich mehrere Ökosysteme für verschiedene Lebenswelten aufgebaut wie „Auto“, „Immobilien“ und „Gesundheit“. PingAn hat den Aufbau über mehrere Jahre hinweg mit disruptiven Ansätzen und stringenter Digitalisierung der eigenen Produkte und Prozesse vorangetrieben. Im Vergleich zu Deutschland hat Asien damit einen großen Vorsprung und bereits viele Erfahrungen gesammelt.

Plattformen auf dem Weg zum Ökosystem

Betrachten wir nun beispielhaft das Angebot von Services der Krankenversicherer auf deren Webportalen für ihre Versicherten. Alle Krankenversicherer haben gemeinsam, dass sie nicht untereinander vernetzt sind, sondern für sich isoliert stehen. Das Potenzial, über gezielte Vernetzungen Mehrwerte für die Versicherten zu schaffen und damit zum Ökosystem in der Lebenswelt „Gesundheit“ zu werden, ist groß, bedarf allerdings einiger technischer Anstrengungen und Investitionen. Die datenschutzrechtlichen Aspekte sind nicht zu vernachlässigen und daraus entstehende Hürden müssen überwunden werden. Die Lebenswelt „Gesundheit“ hat in den vergangenen Jahren für die Menschen deutlich an Bedeutung gewonnen, so dass sich diese für Krankenversicherer geradezu anbietet. Für den Krankenversicherer entsteht daraus die Möglichkeit, sich als präventiv handelnder Gesundheitsdienstleister zu positionieren, um einerseits neue Versicherte zu gewinnen und andererseits Bestandskundinnen und -kunden vor der Entstehung von Krankheiten präventiv zu begleiten. Entscheidend für die Schaffung eines Ökosystems „Gesundheit“ ist jedoch in allen Fällen der Perspektivwechsel, bei dem alle angebotenen Services aus Sicht der Kundinnen und Kunden betrachtet werden.

Eine weitere wichtige Eigenschaft funktionierender Ökosysteme ist die Verfügbarkeit auf mobilen Endgeräten. Die Nutzung mobiler Endgeräte übertrifft mittlerweile die Nutzung stationärer Geräte und damit ist dieser Trend eindeutig. Eine mobile Anwendung muss daher entsprechend zum Ökosystem erweitert werden. Das Angebot der privaten Krankenversicherer in ihren Apps beschränkt sich heute weitgehend auf die Einreichung von Leistungsbelegen und Tarifansichten. Weitere Serviceangebote sind in weiten Teilen lediglich über die PKV-Webportale zu erreichen.

Kundinnen und Kunden wünschen Rundum-Services

Die Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Bedingt durch die Digitalisierung werden in allen Bereichen schnelle und verlässliche Services erwartet, die auf die eigene Person zugeschnitten sind und digital angeboten werden. Diese kanalübergreifenden Services müssen untereinander abgestimmt sein, um Mehrfacheingaben zu vermeiden. Eine Accenture-Studie belegt deutlich das Bedürfnis nach miteinander verbundenen Services:


Quelle: Accenture FS Consumer Survey 2019, Global/ n=47.000; Germany/ n=2.000

Die jeweilige Lebenswelt spielt eine entscheidende Rolle und grenzt Ökosysteme voneinander ab, denn erst in Abhängigkeit von den Interessen der Kundinnen und Kunden werden Ökosysteme genutzt und geschätzt. Allerdings wage ich die Prognose, dass Ökosysteme rund um die Lebenswelt „Gesundheit“ und „Fitness“ bei einem Großteil der Kundschaft Anklang finden werden. Auch könnte die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) dazu beitragen, eine hohe Akzeptanz bei den Gesundheitskundinnen und -kunden zu erlangen. Betrachtet man die ePA für sich, wird sie – wenn sie gefüllt wird – dem ärztlichen Personal sowie Patientinnen und Patienten einen beachtlichen Nutzen bringen. Einen vollumfänglichen Mehrwert für Patientinnen und Patienten wird die ePA jedoch erst durch sogenannte Mehrwertservices erfüllen können. Diese werden aus den individuellen Daten von Patientinnen und Patienten abgeleitet, die wiederum zu konkreten und maßgeschneiderten Angeboten führen, wie zum Beispiel gezielte Hinweise auf Vorsorgetermine oder begleitende Apps zur Rehabilitation.

Fazit

Ökosysteme können für Kundinnen und Kunden ein sinnvolles und umfassendes Serviceangebot darstellen, ebenso bieten sie für Anbieter und Teilnehmende eine Vielzahl an Vorteilen. Dies zeigen die bereits bestehenden Konstrukte, wie wir sie in Asien sehen. Die Schaffung eines Ökosystems ist eine große Herausforderung, die nur zu meistern ist, wenn sich für alle Beteiligten klare Mehrwerte ergeben und sie sich auf eine Zusammenarbeit einlassen. Das bedeutet, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und die Erfüllung von Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden konsequent in den Vordergrund zu stellen. Der Begriff Ökosystem mag in der Wirtschaft und Informatik bekannt sein und genutzt werden, für Kundinnen und Kunden wird die reine Bezeichnung nicht ausreichen.

Als Kundin oder Kunde kenne ich herkömmliche Ökosysteme wie den Wald oder das Meer. In den allgemeinen Sprachgebrauch ist das wirtschaftliche Ökosystem oder die Ecosphere noch nicht eingegangen. In unserer Branche macht es allerdings sehr wohl Sinn, diesen Begriff zu verwenden, um eine deutliche Differenzierung zu Plattformen herzustellen.

Bild Sabine  Fischer

Autor Sabine Fischer

Sabine Fischer ist Leiterin des Competence Center HealthServices in der Line of Business Insurance. Der Fokus des CC liegt auf digitalen Gesundheitsangeboten für die Kranken- und Lebensversicherung. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Softwareentwicklung und denkt Software vom Endanwender aus.

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