5. April 2022 von Stephen Lorenzen, Georg Benhöfer und Lars Zimmermann
„Notfallplan Gas“ – Robert Habeck ruft Frühwarnstufe aus
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klima, hat am 30.03.2022 die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Was dies für die Versorgungssicherheit in unserem Land bedeutet, welche Auswirkungen es auf Industrie, aber auch Privathaushalte haben kann, was der Plan eigentlich ist und welche Prozesse dahinterstecken, wollen wir euch in diesem Blog-Beitrag näherbringen.
Die Erdgasversorgungslage in Deutschland ist in hohem Maße sicher und zuverlässig. Insbesondere betrifft dies die Versorgung der sogenannten geschützten Kundinnen und Kunden, beispielsweise der privaten Haushaltskundinnen und -kunden, die in der SoS-VO (Europäische Verordnung zur Versorgungssicherheit Gas) einen besonderen Stellenwert haben. Dennoch ist es, wie in jedem anderen Energiebereich, nicht vollkommen auszuschließen, dass im Falle einer massiven Verschlechterung der Versorgungslage zusätzlich zu den Maßnahmen der Gasversorgungsunternehmen (d. h. marktbasierten Maßnahmen und ggf. Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG) ein Einschreiten der zuständigen Behörden erforderlich wird. Die Eintrittswahrscheinlichkeit einer solch massiven Versorgungskrise ist zwar sehr gering, dennoch muss für einen solchen Fall Vorsorge getroffen werden, um die notwendige Zusammenarbeit aller Beteiligten und die Verfügbarkeit entsprechender Maßnahmen sicherzustellen. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges wird das Einschreiten der zuständigen Behörden nun notwendig.
Was ist der Notfallplan Gas?
Der „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“ beschäftigt sich mit verschiedenen Szenarien und Handlungsmöglichkeiten für den Fall, dass die Versorgung mit Erdgas im Land nicht mehr uneingeschränkt sichergestellt werden kann. Dies dient der Gewährleistung der sicheren Gasversorgung, um den Erdgasbinnenmarkt zu stärken und Vorsorge für den Fall der Versorgungskrise zu treffen.
Der Notfallplan hat verschiedene Warnstufen vor dem Eintreten eines Ernstfalles bis hin zum Szenario eines vollständigen Importausfalles von Gas. So wissen Bund, Länder und Behörden, welche Schritte durchgeführt werden müssen, sobald eine dieser Stufen erreicht ist.
Stufe 1: Frühwarnstufe
In dieser Stufe soll laut Notfallplan Gas ein Krisenstab zusammenkommen. Dieser setzt sich aus Fachleuten der Ministerien und Mitarbeitenden der entsprechenden Energieversorger zusammen. In dieser Stufe lässt sich der Staat die aktuelle Lage von den Expertinnen und Experten erklären. Dazu zählen vor allem Verbrauchsdaten und der Speicherbestand. Exakt diese Stufe ist vom Bundeswirtschaftsminister ausgelöst worden, sodass die beschriebenen Maßnahmen akut greifen.
Stufe 2: Alarmstufe
In Stufe zwei verpflichtet der Staat die Energieversorger, notwendige Schritte einzuleiten. Zu diesen Schritten zählen beispielsweise die Zuführung von Erdgas aus den Speichern in das System sowie der Zukauf von Gas aus alternativen Quellen.
Stufe 3: Notfall
Ab Stufe drei wird ein staatlicher Eingriff unabwendbar. Die private Wirtschaft kann mit ihren Maßnahmen nicht das gewünschte Ziel erreichen, sodass nun die Bundesnetzagentur (BNetzA) eingreifen muss. Diese entscheidet nun, wer weiterhin mit Gas versorgt wird und wer nicht. Die Verteilung des Gases unterliegt in diesem Szenario also allein der BNetzA.
Auswirkungen auf Industrie und Privathaushalte
Der Notfallplan Gas priorisiert schützenswerte Unternehmen. Im Ernstfall bedeutet dies, dass die BNetzA diese Empfänger vorrangig behandelt und mit Gas versorgt. Zu diesen geschützten Unternehmen gehören staatliche Behörden, die für die öffentliche Sicherheit und volle Funktionsweise des Staatsapparates notwendig sind. Darüber hinaus betrifft es Krankenhäuser sowie Betriebe der kritischen Infrastruktur. Auch die deutschen Privathaushalte zählen dazu und würden im Ernstfall weiterhin mit Gas versorgt werden. Die Industrie sowie Privatunternehmen hingegen gehören nicht dazu. Kommt es zu Stufe drei, werden sie entsprechend nicht mehr mit Gas versorgt.
Was bedeutet das alles nun für die Versorgungssicherheit?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schreibt in seiner Pressemitteilung vom 30.03.2022: „Die Versorgungssicherheit ist weiter gewährleistet. Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe.“ (Pressemitteilung BMWI)
Dennoch müssen in dieser Situation, in der sich Europa zurzeit befindet, die Vorsorgemaßnahmen erhöht werden, um im Falle einer Eskalation seitens Russlands schnell handeln zu können. Sollte es zu Liefereinschränkungen oder gar Ausfällen kommen, müssen weitere Schritte eingeleitet werden, um die Versorgungssicherheit auch mittelfristig gewährleisten zu können.
Konkret sollte mit dem Beginn der Frühwarnstufe in Deutschland sichergestellt werden, dass
- 1. sich die betroffenen Unternehmen auf die aktuelle Situation vorbereiten, um so einen Beitrag zur Krisenvorsorge zu leisten.
- 2. sich die betroffenen Institutionen auf einen möglichen Lieferstopp einstellen, sodass schwerwiegende Folgen abgemildert werden können.
- 3. die Gasnetzbetreiber und Gasversorgungsunternehmen eine rechtssichere Grundlage haben, die die zu ergreifenden Maßnahmen im Notfall rechtfertigen können.
Fazit
Die Gesamtversorgung aller deutschen Gasverbraucherinnen und -verbraucher ist aktuell weiter gewährleistet. Dies gilt sowohl für Haushaltskundinnen und -kunden und soziale Dienste wie Krankenhäuser als auch für Fernwärme, Stromerzeugung sowie die deutsche Wirtschaft. An den Handelsmärkten ist trotz massiver Kursschwankungen weiterhin ausreichend Gas vorhanden. Sollte es zu einer Stufe zwei oder gar Stufe drei kommen, kann sich diese Situation ändern. Während die betroffenen Unternehmen und Institutionen bereits vorbereitende Maßnahmen treffen können, können auch Endverbraucherinnen und Endverbraucher ihren Energieverbrauch überdenken und so einen kleinen Teil dazu beitragen, das Eintreten der Stufe drei unwahrscheinlicher zu machen oder zumindest zu verzögern. Wir holen schon mal unsere Wollpullover aus dem Schrank, kochen uns einen Tee und beobachten die Lage weiterhin gespannt.