17. September 2025 von Gerrit Biller
KI in der Energiewirtschaft: Chancen nutzen, Verantwortung tragen
Was der EU AI Act seit August 2025 verändert
Die deutsche Energiewirtschaft steht unter enormem Innovationsdruck: Klimaziele, volatile Energiemärkte und der Ausbau erneuerbarer Energien erfordern neue Ansätze in Planung, Steuerung und Betrieb. Künstliche Intelligenz (KI) bietet hier beachtliches Potenzial: Sie hilft bei der Lastprognose, kann dezentrale Energiequellen steuern, ermöglicht optimierte Wartung und treibt die Digitalisierung der Netzinfrastruktur voran. Doch mit großer Macht kommt große Verantwortung: Der EU AI Act, der seit August 2025 in wesentlichen Teilen greift, bringt erstmals einen verbindlichen Ordnungsrahmen für KI-Anwendungen in Europa. Was bedeutet das konkret für die Energiewirtschaft? Und warum bleibt KI trotz Regulierung ein unverzichtbarer Innovationstreiber?
Nach dem ersten Schritt im Februar 2025, der bestimmte KI-Anwendungen mit inakzeptablem Risiko verbot, trat am 2. August 2025 die nächste Stufe des EU AI Acts in Kraft. Seitdem gelten erste Pflichten für allgemeine KI-Modelle (General Purpose Artificial Intelligence GPAI) – von der Textgenerierung bis zur Bilderstellung. Insbesondere Transparenz- und Dokumentationsanforderungen gelten, wobei weitere Bestimmungen unter anderem zur Transparenz und Governance dieser Modelle gestaffelt in Kraft treten. Für euch als Energieunternehmen bedeutet das: Es ist höchste Zeit, eure KI-Strategie auszuarbeiten und an die aktuellen und künftigen Rahmenbedingungen anzupassen.
Der EU AI Act – ein Meilenstein für vertrauenswürdige KI
Mit dem AI Act schafft die Europäische Union ein einheitliches Regelwerk für die Entwicklung, Bereitstellung und Nutzung von KI-Systemen. Ziel ist es, Innovation zu fördern und gleichzeitig Risiken für Sicherheit, Grundrechte und Umwelt zu minimieren. Besonders relevant für die Energiewirtschaft sind sogenannte Hochrisikosysteme, etwa im Netzbetrieb. Diese unterliegen gestaffelt strengeren Anforderungen: Hochrisikosysteme werden 24 Monate nach Inkrafttreten reguliert, für bestimmte Produktkategorien gelten längere Übergangsfristen. Anbieter von GPAI-Modellen müssen bereits seit August 2025 Transparenz- und Dokumentationspflichten erfüllen, wovon auch Energieunternehmen profitieren, wenn sie solche Modelle z. B. in Chatbots für den Kundenservice einsetzen.
Neue Realitäten, klare Chancen
Der risikobasierte Ansatz des AI Acts bringt Struktur in die KI-Landschaft und schafft bereits heute Klarheit über die kommende Regulierung für zukünftige KI-Anwendungsfälle. Für die Energiewirtschaft, die traditionell stark reguliert ist, bietet das eine vertraute Grundlage, um KI-Projekte von Anfang an rechtskonform zu gestalten. Unternehmen, die jetzt handeln, verschaffen sich entscheidende Wettbewerbsvorteile: Während andere noch zögern, können sie ihre KI-Anwendungen bereits heute zukunftssicher aufbauen.
KI Use Cases im Fokus: Wo Chancen und Hürden liegen
Kundenservice: Transparenz als neuer Standard
Der Kundenservice erlebt durch KI eine Revolution. Der Blog-Beitrag zum Thema „Vom Callcenter zur KI-Zentrale“ beschreibt diese Transformation. Der AI Act greift hier spürbar ein: Kundinnen und Kunden müssen zwingend informiert werden, wenn sie mit KI-Systemen interagieren. Das bedeutet geringen zusätzlichen Aufwand bei der Implementierung, aber auch die Chance, Vertrauen durch Transparenz zu schaffen.
Virtuelle Kraftwerke: Innovation mit Verantwortung
Die Bündelung dezentraler Energiequellen zu virtuellen Kraftwerken ist ohne KI kaum denkbar. Viele Anwendungen, etwa Last- und Erzeugungsprognosen, Handelsoptimierungen oder Marktanalysen, fallen nach dem AI Act in niedrigere Risikokategorien. Hier sind vor allem Transparenzpflichten zu beachten, sodass Unternehmen diese Systeme vergleichsweise unkompliziert einsetzen können.
Anders sieht es aus, wenn KI direkt in die Steuerung und Stabilisierung kritischer Netzeingriffe eingebunden ist. In diesem Bereich gilt die Einstufung als High-Risk-KI, mit umfangreichen Anforderungen zur Dokumentation, zum Risikomanagement, zu Test- und Überwachungsverfahren sowie zur Konformitätsbewertung. Ab August 2027 sind diese Vorgaben verbindlich. Wer diese Hürden meistert, schafft nicht nur regulatorische Sicherheit, sondern gewinnt durch robuste, vertrauenswürdige Systeme einen klaren Wettbewerbsvorteil.
GenAI in der Energiewirtschaft
Einfacher Start, nachhaltige Wirkung
Generative KI eröffnet Energieversorgern neue Chancen: nämlich Prozesse zu optimieren, Innovationen zu beschleunigen und Potenziale zu nutzen. Mit dem „Generative AI Quick Check” von adesso könnt ihr euren GenAI-Reifegrad ermitteln. In unserem interaktiven Workshop entwickelt ihr gemeinsam mit Fachleuten Use Cases, bewertet Chancen und Risiken und erstellt konkrete Roadmaps.
Lastprognosen und Netzüberwachung: Ungebremste Marktchancen
Präzise Lastprognosen unterstützen die Nutzung volatiler erneuerbarer Energien. Solche Prognose-Anwendungen fallen in der Regel in niedrige Risikokategorien, sofern sie nicht automatisiert in sicherheitskritische Steuerungen eingreifen. Transparenz- und GPAI-Pflichten sind dennoch zu beachten. KI-basierte Ansätze, die meteorologische Daten, Verbrauchsmuster und Marktdaten intelligent verknüpfen, fallen ebenfalls meist in niedrigere Risikokategorien. Hier können Energieunternehmen ohne große regulatorische Hürden durchstarten.
Die KI-gestützte Netzsteuerung hingegen bewegt sich im Spannungsfeld zwischen enormem Potenzial und hohen regulatorischen Anforderungen. Aufgrund der Relevanz für kritische Infrastruktur kann sie als High-Risk eingestuft werden und unterliegt umfassenden Dokumentations-, Test- und Überwachungspflichten.
Eine KI-basierte Prüfung von Smart-Meter-Montagen zeigt einen typischerweise weniger kritischen Anwendungsfall, der von geringeren regulatorischen Hürden profitiert.
Predictive Maintenance: Qualitätssteigerung durch Regulierung
Die KI-gestützte Wartungsvorhersage zeigt, wie der AI Act zum Qualitätstreiber wird. Unser Blog-Beitrag zum Thema „Mit KI zur effizienten und ausfallsicheren Kraftwerkswartung“ verdeutlicht das Potenzial. Systeme, die in kritischen Infrastrukturen eingesetzt werden, gelten als High-Risk und unterliegen daher strengeren Anforderungen. Von Dokumentation und Testverfahren bis hin zu Transparenz- und Überwachungspflichten gibt es einige Auflagen zu beachten. Diese Vorgaben führen zu robusteren, vertrauenswürdigeren Lösungen und erhöhen die Qualität der eingesetzten KI-Systeme, auch im nicht Hochrisikobereich.
Analyse- und Beratungslösungen: Die stillen Gewinner
Durch günstige Rahmenbedingungen für Business-Intelligence-Anwendungen, Marktanalysetools und strategische Beratungslösungen profitieren diese indirekt vom AI Act. Während die Nachfrage nach datengestützten Entscheidungshilfen kontinuierlich steigt, profitieren diese Technologien von einem regulatorisch vorteilhaften Status: Die meisten BI- und Analysetools fallen unter die Kategorie „geringes Risiko" und unterliegen damit nur minimalen Compliance-Anforderungen. Dennoch müssen Anbieter grundlegende Transparenzpflichten erfüllen, insbesondere die eindeutige Kennzeichnung KI-generierter Inhalte. Verschärfte Anforderungen greifen, wenn die Systeme auf GPAI basieren oder in besonders sensiblen Geschäftsbereichen zum Einsatz kommen. Diese regulatorische Entlastung ermöglicht es Unternehmen, Ressourcen verstärkt auf Innovation und Nutzerfreundlichkeit, statt auf aufwendige Zertifizierungsprozesse zu konzentrieren und ihre Lösungen schneller zur Marktreife zu bringen.
Die Realität des AI Acts: Bremse oder Beschleuniger?
Wo Herausforderungen entstehen
Hochrisikosysteme in kritischen Infrastrukturen stehen vor erheblichen Compliance-Hürden. Ab August 2027 sind umfangreiche Risikobewertungen, Qualitätsmanagementsysteme und kontinuierliche Überwachung Pflicht. Das bedeutet, dass Unternehmen sich nach heutigem Stand auf längere Entwicklungszyklen und höhere Projektkosten für Compliance-Maßnahmen einstellen müssen.
Wo Chancen warten
Niedrigrisiko-Anwendungen profitieren von der Rechtssicherheit. Die geforderte Transparenz führt zu robusteren, nachvollziehbareren Systemen. Unternehmen, welche die Compliance-Hürden erfolgreich meistern, können sich als vertrauenswürdige Partner positionieren.
Jetzt die Weichen stellen
Bei unserem letzten GenAI Utilities Usergroup-Treffen am 22. August diskutierten Branchenfachleute unter dem Motto „DX goes GenAI“ über praktische Erfahrungen und Lösungsansätze rund um alle KI-Themen in der Energiewirtschaft.
Weitere Impulse zum Einsatz von KI in der Energiewirtschaft findet ihr in unserem Überblick zu GenAI in der Energiewirtschaft.
Wir unterstützen euch!
Bereit für den nächsten Schritt? Unsere adesso-Fachleute unterstützen euch dabei, eure KI-Strategie AI Act konform zu gestalten und dabei das volle Potenzial auszuschöpfen. Ob Workshop zur Risikobewertung eurer bestehenden KI-Anwendungen oder strategische Beratung für neue Use Cases – wir entwickeln mit euch konkrete Roadmaps für die erfolgreiche Umsetzung.
Disclaimer:
Die in diesem Artikel bereitgestellten Informationen wurden mit größter Sorgfalt erstellt und dienen ausschließlich allgemeinen Informationszwecken. Sie stellen weder eine rechtliche Beratung noch eine verbindliche Auslegung des AI Acts oder anderer Rechtsnormen dar.
Rechtliche Rahmenbedingungen können sich ändern, und die Auslegung von Gesetzen hängt stets vom jeweiligen Einzelfall ab. Für verbindliche rechtliche Einschätzungen wenden Sie sich bitte an eine qualifizierte Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt.
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