adesso Blog

Am 22.02.2023 berichteten wir bereits über die Fortschritte bei den deutschen LNG-Projekten. Neben drei langfristig geplanten festen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade (Inbetriebnahme im Jahr 2025/2026) ist aktuell als Übergangslösung der Fokus auf sechs schwimmende Einheiten gerichtet: Wilhelmshaven I + II, Lubmin I + II, Brunsbüttel und Stade.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine setzen jedoch auch unsere europäischen Nachbarn auf Effizienzmaßnahmen und verstärkte LNG-Importe aus nicht russischen Quellen, um die Abhängigkeit des Kontinents von russischem Gas bis 2030 um mindestens 155 Milliarden Kubikmeter zu verringern.

Doch wie ist es um die LNG-Situation auf europäischer Ebene bestellt? In unserem Blog-Beitrag geben wir euch einen kurzen Überblick.

Zur Erinnerung: Was ist LNG nochmal?

Liquefied Natural Gas (LNG) ist Erdgas, das zur leichteren Lagerung und Beförderung in einen flüssigen Zustand auf –162 °C heruntergekühlt wird. LNG kann per Schiff, Lkw oder Bahn an Orte transportiert werden, die herkömmliche Erdgaspipelines nicht erreichen. Im Allgemeinen wird das Gas zunächst im Herkunftsland verflüssigt, dann per Schiff transportiert und am Bestimmungsort wieder vergast, bevor es in bestehende Gasnetze eingespeist wird. Dabei wird zwischen landbasierten und schwimmenden LNG-Anlagen unterschieden: An den fest installierten, landbasierten LNG-Terminals können mit Flüssigerdgas beladene Tanker anlegen. Das LNG wird dort wieder in den gasförmigen Zustand umgewandelt – regasifiziert – und anschließend in das Gasnetz an Land eingespeist. Daneben gibt es schwimmende LNG-Terminals: Als solche fungieren spezielle Schiffe, in der Branche Floating Storage and Regasification Unit (FSRU) genannt, auf denen das flüssige Erdgas umgewandelt und an Land geleitet werden kann.

Zahlen, Daten & Fakten zum europäischen LNG

LNG macht 24 Prozent der gesamten Erdgasimporte der EU im Jahr 2021 aus – der Rest wurde über Pipelines geliefert, hauptsächlich aus Russland, Norwegen, dem Vereinigten Königreich und Algerien. Während die gesamten Netto-Erdgasimporte in der EU im vierten Quartal 2021 um 2,8 Prozent stiegen, nahmen die LNG-Importe um 33 Prozent zu, wobei im Dezember ein Anstieg von 53 Prozent zu verzeichnen war. Die LNG-Importe für Januar und Februar 2022 haben sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Bislang importieren folgende Länder in der EU LNG: Deutschland, Italien, Finnland, Estland, Portugal, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Griechenland, Polen, Litauen, Kroatien, Malta und Spanien.

Auswirkungen auf LNG-Infrastrukturprojekte in der EU

Der Konflikt und der Einmarsch Russlands in die Ukraine Ende Februar 2022 haben die Erdgasmärkte in Europa erheblich beeinträchtigt. Mit der Entwicklung des Konflikts haben die EU-Länder Maßnahmen und Sanktionen gegen Russland beschlossen und planen, die Abhängigkeit von russischen Gasimporten kurz- bis mittelfristig zu verringern. Insbesondere das Projekt Nord Stream 2, eine Pipeline zwischen Russland und Deutschland mit einer geplanten Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern pro Jahr, wurde ausgesetzt. Die europäischen Länder prüfen nun andere Versorgungsoptionen, insbesondere die Entwicklung und den Ausbau von LNG-Terminals.

Vor diesem Hintergrund wurden in vielen Ländern Europas neue Projekte für LNG-Importterminals gestartet und bereits angekündigte Projekte beschleunigt.

Was ist von den europäischen Partnern geplant?

Insbesondere Länder, die einen Großteil ihrer Gasimporte von Russland beziehen, intensivieren ihre Pläne, ihre Abhängigkeit kurz- und mittelfristig zu reduzieren: Deutschland (circa 50 Prozent des russischen Gases im Jahr 2021), Italien (40 Prozent), Finnland und Estland (100 Prozent). Andere EU-Länder (darunter Frankreich, Niederlande, Griechenland, Kroatien) entwickeln auch Strategien, um die Abhängigkeit von russischen Gasimporten zu verringern. Folgende Projekte wurden seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine (Februar 2022) angekündigt bzw. umgesetzt (Stand: März 2023):

  • Deutschland: Wie im vorigen Blog-Beitrag skizziert, bemüht sich die Bundesregierung derzeit um drei landbasierte LNG-Terminals und sechs schwimmende FSRU.
  • Italien: Der italienische Gasnetzbetreiber Snam bereitet sich derzeit darauf vor, die Kapazität durch zwei FSRU (Golar Tundra und BW Singapore, beide mit einem jährlichen Volumen von fünf Milliarden Kubikmetern Gas) zu erhöhen, die für drei Jahre in Piombino (Toskana) bzw. in Ravenna (Emilia-Romagna) stationiert werden sollen. Im Frühjahr 2023 soll mindestens eine FSRU in Betrieb genommen werden. Weitere Pläne umfassen die Wiederaufnahme des LNG-Anlagenprojekts Porto Empedocle in Sizilien mit einer jährlichen Regasifizierungskapazität von acht Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Es werden auch Pläne für eine Kapazitätserweiterung des derzeit bestehenden Terminals Adriatic LNG Expansion diskutiert.
  • Finnland und Estland: Finnland und Estland vereinbarten im Oktober letzten Jahres, eine FSRU namens „Exemplar“ im finnischen Hafen Inkoo zu platzieren. Die FSRU Exemplar ging im Dezember 2022 in Betrieb. Sie kann eine Regasifizierungskapazität von mehr als fünf Milliarden Kubikmetern pro Jahr bereitstellen und wird Finnland, Estland und andere baltische Staaten im Rahmen eines mit Excelerate im Mai 2022 beschlossenen 10-Jahres-Chartervertrags versorgen.
  • Frankreich: Das FSRU-Projekt in Le Havre in der Normandie würde es Frankreich ermöglichen, seine Regasifizierungskapazität um rund fünf Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu erhöhen. Der Betreiber TotalEnergies plant, die FSRU in Le Havre im September 2023 in Betrieb zu nehmen und eine jährliche Kapazität von bis zu 2,5 Milliarden Kubikmetern pro Jahr bereitzustellen, was fast zehn Prozent des französischen Gasverbrauchs decken könnte.
  • Niederlande: Die FSRU im niederländischen Eemshaven verfügt über eine Kapazität von acht Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Diese Anlage wurde im September 2022 bereits in Betrieb genommen. Seit Anfang Dezember 2022 arbeitet sie mit voller Kapazität.
  • Griechenland: In Griechenland befinden sich derzeit zwei Terminals in der Planung bzw. Umsetzung: Die erste FSRU namens Thrace befindet sich in der Ägäis vor der Küste Griechenlands (im Thrakischen Meer vor Alexandroupolis) und würde maximal 5,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr liefern. Der kommerzielle Betrieb des Projekts ist vom Betreiber Gastrade für das vierte Quartal 2023 geplant. Die zweite FSRU namens Argo ist im Hafen der Stadt Volos geplant und würde eine jährliche Kapazität von 5,2 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ausweisen. Im November 2022 gab der Betreiber MedGas bekannt, dass sich die Inbetriebnahme de FSRU bis zu einem voraussichtlichen Starttermin im ersten Quartal 2025 verzögern werde.
  • Kroatien: Die kroatische Regierung hat beschlossen, die Kapazität des LNG-Terminals auf der Insel Krk von derzeit 2,6 auf über 6,1 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu erweitern.

Fazit

Es zeigt sich, dass die Bemühungen um eine Diversifizierung der Gasversorgung weg von russischen Lieferungen nicht nur in Deutschland voll im Gange sind, sondern auch auf europäischer Ebene. Derzeit befinden sich viele angekündigte LNG-Terminal-Projekte in der Umsetzung. Insbesondere EU-Nationen mit großer Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen wie Italien (zwei FSRU-Projekte sowie Wiederaufnahmen und Kapazitätserweiterungen von Terminals) und die Kooperation um Finnland und Estland (ein FSRU-Projekt) sehen sich in der Pflicht, kurz- und mittelfristig zu handeln. Weitere Länder mit Bemühungen zum Aufbau einer eigenen LNG-Importinfrastruktur sind Frankreich (ein FSRU-Projekt), Niederlande (ein FSRU-Projekt), Griechenland (zwei FSRU-Projekte) und Kroatien (Ausbau eines FSRU-Projekts). Es bleibt also spannend auf dem europäischen LNG-Markt. Wir bleiben für euch am Ball.

Bild Stephen Lorenzen

Autor Stephen Lorenzen

Stephen Lorenzen ist Managing Consultant bei adesso und seit fast fünf Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Er versteht sich als pragmatischer und interdisziplinärer Allround-Berater mit mehrjähriger Berufserfahrung in den Bereichen Innovationsmanagement, Requirements Engineering sowie klassischem und agilem Projektmanagement.

Bild Maximilian Hammes

Autor Maximilian Hammes

Maximilian Hammes ist Consultant in der Line of Business Utilities bei adesso mit den Schwerpunkten Data Analytics und Prozessmanagement. Als Projektleiter und Requirements Engineer unterstützt er Kunden bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten.

Bild Jonas Schnorrenberg

Autor Jonas Schnorrenberg

Jonas Schnorrenberg ist Maschinenbauingenieur und arbeitet bei adesso als Consultant im Bereich Utilities mit Fokus auf der Beratung von Unternehmen in der Energiewirtschaft. Sein Schwerpunkt lag in den vergangenen Jahren auf der Leitung von Projekten im Bereich der Energie- und Kraftwerkstechnik. Nach seinem abgeschlossenen Master in Maschinenbau bildet er sich nun nebenberuflich im Rahmen eines Masters in Business Administration weiter.

Kategorie:

Branchen

Schlagwörter:

Energiewirtschaft

Diese Seite speichern. Diese Seite entfernen.