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Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens am 9.8.2023 beschlossen. Enthalten sind sowohl das Opt-out-Verfahren für die elektronische Patientenakte (ePA) ab Anfang 2025 für gesetzlich Versicherte wie auch die Weiterentwicklung des E-Rezeptes, das ab 2024 verbindlich für gesetzlich Versicherte gilt. Für die ePA bedeutet dies, dass zu einem Zeitpunkt Millionen von Akten angelegt und von da an auch befüllt werden müssen. Eine Verpflichtung besteht nur für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), für die private Krankenversicherung (PKV) ist die Bereitstellung der ePA nach wie vor optional. Allerdings: Wenn eine PKV die ePA anbietet, muss dies ebenso nach dem Opt-out-Verfahren erfolgen.

Darüber hinaus sollen Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa) besser für die Versorgung nutzbar gemacht werden und digitale Versorgungsprozesse in strukturierten Behandlungsprogrammen ermöglicht werden.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet weiter voran. Für die PKVen bedeutet dies nicht nur, die ePA einzuführen und den Wandel vom Kostenerstatter zum Gesundheitsmanager der Versicherten voranzutreiben, sondern auch den internen digitalen Ausbau der Arbeitsprozesse zu forcieren. Geht man diesen Ausbau nicht an, dann wird vieles nicht nur mit Prozessbrüchen, sondern auch mit erheblichen Mehraufwänden versehen sein.

Wie stellt sich die aktuelle Situation dar?

Studien rund um die Digitalisierung des Gesundheitswesens belegen immer wieder, dass die Digitalisierung im Bewusstsein der Beteiligten angekommen ist. Aber es gibt für alle Mitwirkenden noch viele Herausforderungen. Betrachten wir hier nun im Wesentlichen die PKVen. Viele Prozesse bei PKVen werden von manuellen Schritten unterbrochen oder die Ergebnisse sind auf Papier statt in elektronischen Dokumenten hinterlegt. Die ePA wurde bei den meisten PKVen zurückgestellt, doch gerade sie kann bei entsprechender Nutzung die Basis für ein Gesundheitsmanagement für Versicherte darstellen.

Die Apps der meisten PKVen bieten Tarifansichten, Leistungseinreichung und E-Mail-Austausch. Tarifänderungen, Features zur Darstellung von Leistungstransparenz, einen Rechnungsparkplatz und digitale Dokumente fehlen in der Regel. Über Portale werden weitere Services wie Gesundheits-Apps angeboten, aber eben nur über Portale und nicht aus einer Hand.

Studie von Deloitte: Zukunft der PKV (2022)

„Um sich in einem Umfeld von vermehrt digitalen Schnittstellen und Prozessen, anspruchsvolleren Kundenerwartungen und stärker werdendem Fachkräftemangel zu behaupten, setzt der Großteil der Krankenversicherer auf den Ausbau von Kundenschnittstellen und Optimierungsinitiativen in der Leistungsbearbeitung.“


Erwartete politische Veränderungen mit Relevanz für das PKV-Geschäft, Quelle: Deloitte-Studie

Ein Erfahrungsbericht eines PKV-Versicherten

Ich benutze die App meiner Versicherung. Ich kann mir dort Tarife ansehen, bekomme E-Mails und kann Leistungen einreichen. Tarifänderungen und -überprüfungen erhalte ich teils in Papierform, teils in elektronischer Form, die jedoch spätestens dann endet, wenn man über die App antworten will. Die elektronische Form stellt sich dann so dar, dass ein vorab auf Papier versandter Brief als PDF angehängt wird. Der Brief verweist dann auf einen QR-Code oder den beigefügten Fragebogen. Der QR-Code kann nicht gelesen werden, den müsste ich wohl erst ausdrucken, der Fragebogen fehlt natürlich.

Eine per Post zugesandte Tarifänderung für meine Tochter wegen Studienende wollte ich rückgängig machen, weil sich ein Masterstudium anschließt. Mein Anruf beim Servicecenter meiner Versicherung ergab, ich solle das Studentenportal nutzen, nur über dieses könne die PKV der Universität auch digitale Krankenversicherungsnachweise schicken, ansonsten könne die PKV das digital nicht leisten. Ich habe 2-mal nachgefragt, ob ich richtig verstanden habe, dass die PKV keine digitalen KV-Nachweise verschickt. Das wurde mir bestätigt! Auf dem Portal angekommen hat sich mir nicht erschlossen, wo ich mein Anliegen unterbringen kann … ich habe es nun mit einer E-Mail über die App versucht. Vermutlich werde ich in Kürze wieder nachfragen müssen.

So viel zur Digitalisierung in meiner PKV, es ist viel Optimierungspotential erkennbar.

Wo liegen die meisten Herausforderungen?

Intelligentes Inputmanagement – aktuell alte Technologie

Rechnungen medizinischer Behandlerinnen und Behandler oder Einrichtungen sowie Medikamenten- und Heilmittelrechnungen und Krankenhausrechnungen erreichen die PKV per Post oder über die PKV-App als PDF. Im Inputmanagement wird versucht, daraus Daten zu generieren und diese direkt im Folgeprozess in einem Leistungsbearbeitungssystem zu nutzen. Die eingesetzten Technologien sind mittlerweile veraltet, manuelle Nacharbeiten und Prozessunterbrechungen sind notwendig. Die Dunkelverarbeitung erfolgt nur für einen kleinen Anteil. Rückstände und telefonische Nachfragen der Versicherten sind die Folge. Prozesse, die vor vielen Jahren angelegt wurden, entsprechen nicht mehr den aktuellen Anforderungen, sie sind nicht weiterentwickelt worden. Aber die Anwenderinnen und Anwender von heute haben andere Bedürfnisse.

Heute ist es möglich, auch aus sehr unterschiedlichen Rechnungsformaten Daten auszulesen und automatisiert weiterzuverarbeiten. Künstliche Intelligenz kann hier den entscheidenden Vorteil bringen.

Prozessbetrachtung aus Nutzersicht – der aktuelle Fokus ist ein anderer

Prozesse wurden in der Vergangenheit häufig aus der Systembetrachtung heraus entwickelt. Die Benutzerinnen und Benutzer (egal ob Sachbearbeitende oder Versicherte) waren nicht im Fokus. In der App-Entwicklung steht heute bereits die Nutzerzentrierung im Vordergrund. Von den Endanwenderinnen und -anwendern aus gedacht kann viel besser auf die Bedürfnisse eingegangen und können Prozesse gestaltet werden. Dies gilt natürlich ebenso für Sachbearbeiterinnen und bearbeiter.

Customer Journeys, die von Endkundinnen und -kunden aus betrachtet werden, eröffnen andere Perspektiven und haben Einfluss auf interne Prozesse. Die Kundenbedürfnisse haben sich weiterentwickelt und dies muss sich in den Angeboten einer PKV an Versicherte widerspiegeln. Die Versicherten erwarten heute eine schnelle und transparente Regulierung. Rechnungen über stationäre Aufenthalte sind bereits stark automatisiert. Bei Rechnungen zu Rezepten, Heilmitteln und ambulanten Arztbesuchen sowie bei Krankentagegeldansprüchen und Heil- und Kostenplänen ist diese Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten. Bearbeitungsdauer und Transparenz haben sich nicht nennenswert verbessert. Durch mehr Automatisierung und verbesserte Interoperabilität kann eine Versicherten-App funktional erweitert werden und den heutigen Erwartungen der Versicherten entsprechen. Offene Schnittstellen ermöglichen zudem die Einbindung von Rehabilitations- oder Präventions-Apps – Angebote, die heute meist nur über ein Web-Portal abrufbar sind.

Regulatorische und datenschutztechnische Hürden – Aufwandstreiber und Intransparenz

Die Anforderungen der Gesetzgeber, der EU und des Datenschutzes sind immens und nicht immer klar. Oftmals werden Vorgaben gemacht, die nicht praktikabel sind. Die aktuelle Lösung zur elektronischen ID (eID) sieht eine halbjährliche, umständliche Erneuerung vor. In der Praxis wird dies keine Akzeptanz finden. Es wird daher an einer komfortableren Lösung gearbeitet. Diese setzt jedoch eine Gesetzesnovelle voraus, die noch dauern wird. Für die Versicherer stellt sich die Frage des Starts mit einer Interimslösung oder des Wartens auf die finale Lösung. Damit werden sämtliche andere Anforderungen rund um die eID wie die Einführung der ePA ebenfalls „on hold“ gesetzt.

Möglicherweise werden dann zwischenzeitlich wieder neue Vorgaben erstellt, sodass sich Umsetzungen immer weiter verzögern, selbst wenn trotz Interimslösung bereits damit begonnen wurde. Die Intransparenz gesetzlicher Regelungen aufgrund verschiedener Deutungsmöglichkeiten führt zu Verunsicherung. Die erarbeiteten Lösungen erhöhen die Umsetzungsaufwände und Praxisnähe für Anwendungen erheblich.

Eine PKV kommt nicht um die intensive Auseinandersetzung mit diesen Themen herum. Ein früher Start weitet den Blick und kann den Grundstein für zukünftige Lösungen legen. Bedeutend ist die Betrachtung aller Aspekte, ggf. auch mithilfe von Expertinnen und Experten in den verschiedenen Bereichen.

Ausblick

Versicherte erwarten Services von der PKV: Services, die dazu führen, dass vieles ohne Rückfragen bei der PKV erledigt werden kann, aber auch Dienstleistungen, welche die eigene Gesundheit unterstützen. Die elektronische Gesundheitsakte (ePA) wird einer dieser Services sein. Sie kann die Basis für individualisierte Gesundheitsservices sein, wenn die Versicherten dies wünschen. Durch eine verbesserte Gesundheitsförderung kann die PKV Kosten in der Leistungsregulierung sparen. Mit Dienstleistungen, die den Selfservice von Versicherten stärken, können PKVen Mitarbeitenden-Engpässe in Servicecentern reduzieren.

Um diese Services zu bieten, muss zunächst die Basis gelegt werden. Neue Techniken müssen eingeführt und interne Prozesse durchgehend digitalisiert werden. Erst dann kann ein Selfservice für Versicherte angeboten und können interne Mitarbeitende entlastet werden.

Bild Sabine  Fischer

Autor Sabine Fischer

Sabine Fischer ist Leiterin des Competence Center HealthServices in der Line of Business Insurance. Der Fokus des CC liegt auf digitalen Gesundheitsangeboten für die Kranken- und Lebensversicherung. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Softwareentwicklung und denkt Software vom Endanwender aus.

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