Gefühl für intelligente Maschinen:

Mit Bauchgefühl zur ersten eigenen Künstlichen Intelligenz

Kunden, Produkte und Prozesse besser verstehen lernen, den Unternehmenshorizont durch vorausschauende Algorithmen erweitern oder dem Service mit Chatbots und Co. zu mehr zufriedenen Kunden verhelfen. Das alles verspricht die Welt der Künstlichen Intelligenz. Am Anfang steht hier oftmals ein gewisses Bauchgefühl.

Ein Beitrag von Dr. Marc Szymanski

Die Möglichkeiten, die uns jetzt schon durch KI-Systeme zur Verfügung stehen, werden oft nur durch unsere eigene Vorstellungskraft begrenzt. Denn Künstliche Intelligenz (KI) ist eine der Technologien, der wir aktuell weniger zutrauen, als sie unter geschickter Anleitung leisten könnte. Trotzdem sollte man nicht alles umsetzen, was möglich erscheint. Gerade bei KI-Anwendungen braucht es das richtige Mass, um einen vielversprechenden Return on Investment (RoI) zu erzielen. Bei Unsicherheiten sollten Unternehmen KI-Experten konsultieren, die in gut strukturierten Formaten dabei unterstützen, Potenziale in der Organisation und in den eigenen Daten zu heben.

Lassen Sie mich aus meiner Erfahrung sprechen: KI-Projekte beginnen zumeist mit einer Art Bauchgefühl: Da ist die Erkenntnis, dass man in seinem Bereich die Performance erhöhen könnte, auch wenn sie noch sehr unscharf ist. Die Menge an Daten, Zusammenhängen und Unbekannten übersteigt oft das menschliche Auffassungsvermögen.

Besserer Kundenservice durch passende Mitarbeiter

Algorithmen aus dem Werkzeugkasten der KI können dabei helfen, zum Kern des noch nebulösen Bauchgefühls vorzudringen und dieses für die betroffene Organisation gewinnbringend einzusetzen. Denken wir zum Beispiel an einen Mitarbeiter im Kundenservice, der tagein, tagaus die gleichen Fragen gestellt bekommt. Nur sehr wenige der Fragen sind so einzigartig, dass sie ihn wirklich fordern und an seine Grenzen bringen. Sicherlich können wir ihn durch einen Chatbot unterstützen, der Standardfragen übernimmt und die Fragen, die er selbst nicht beantworten kann, an Mitarbeiter weiterleitet. Doch bei großen Organisationen besteht hier die Gefahr, dass Fragen an Mitarbeiter herangetragen werden, die dafür gar nicht über das erforderliche Wissen verfügen. Also, dass Frage und Angebot nicht zusammenpassen, weil der Chatbot nur automatisch, aber nicht spezifisch weiterleiten kann.

Zweifellos erhielte der Kunde einen besseren Service, wenn er sofort bei dem Mitarbeiter landen würde, der diese Frage aufgrund seiner Spezialisierung und Schulung beantworten kann. Vergleichbar mit einer persönlichen Telefonvermittlung, die mit dem richtigen Gesprächspartner verbinden kann, weil sie die Zuständigkeiten in der Organisation kennt. Der Vorteil für den Kunden hier: Er wird schnell und kompetent beraten – ohne lange Wartezeiten in ärgerlichen Warteschleifen. Auch das geht mit KI!

Grundsätzlich ist das Bauchgefühl ein guter Wegweiser. Doch wie lassen sich ganz gezielt und analytisch Potenziale für KI-basierte Optimierungen identifizieren? Zunächst sollten dazu Informationen entlang der Wertschöpfungskette gesammelt werden. Das geht über gezielte Mitarbeiterbefragungen oder die Analyse von Kostenstrukturen und Prozessen, beispielsweise in Workshop-Formaten wie dem „Interaction Room“.

Regeln für Künstliche Intelligenz

Für Künstliche Intelligenz gelten aber auch noch andere Regeln, um Potenziale zu erkennen. Schon Albert Einstein sagte: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Das sollte uns anregen, auch die Probleme neu zu betrachten, die schon lange bekannt sind, für die aber bisher keine Lösung mit der aktuellen domänenbezogenen Denkweise gefunden wurde. Ein solches Vorgehen ist sehr erhellend.

Um das KI-Potenzial zu bewerten, ist es notwendig, sich mit den verschiedenen Algorithmen der KI auszukennen. KI-Experten können die richtigen Fragen stellen, um zu bewerten, ob sich eine Machbarkeitsstudie lohnt. Die Fragen beziehen sich in der Regel auf die Problemstellung, die dazu vorliegenden Daten und die Möglichkeiten, auf diese Daten zuzugreifen. Ausserdem prüfen diese Experten, ob Datenquellen ausserhalb der betrachteten Domäne hinzugefügt oder durch geeignete Sensoren generiert werden können. Dafür sollten KI-Fachleute ein branchenspezifisches Verständnis für Prozesse sowie die Kenntnis über verschiedene Messprinzipien von Sensoren und von deren Anwendung mitbringen.

Wir setzen gerade in der produzierenden Industrie, der Manufacturing Industry (so die Bezeichnung unseres gleichnamigen Geschäftsbereiches bei adesso), auf Experten, die sowohl tiefgehendes Verständnis für die Prinzipien der KI besitzen als auch das Wissen über Sensorik, Mechanik und Automatisierung. Dabei bilden wir gezielt Teams, die aus Branchen- und KI-Experten gleichermaßen bestehen.

Hypothesenbildung und Datenanalyse zur Überprüfung

In der Fertigungsindustrie erleben wir ähnliche Szenarien und Herausforderungen bei unseren Kunden: Zum Beispiel weist der Rüstprozess von Maschinen und Anlagen bei der Umstellung auf ein anderes Produkt häufig eine ungewöhnlich hohe Varianz in der Rüstzeit beziehungsweise bei der produzierten Qualität auf. Viele bemerken dies dadurch, dass unterschiedliche Chargen identischer Produkte stark schwankenden Ausschussquoten ausgesetzt sind. Dies kann je nach Produkt verschiedenste Ursachen haben, wie beispielsweise veränderte Materialeigenschaften, die jeweilige Erfahrung des Einrichters beim Umgang mit der Maschine, die Temperaturen oder auch eine Kombination aller Einflussfaktoren zusammen. Dementsprechend fallen die Empfehlungen für eine Machbarkeitsstudie auch immer wieder anders aus.

Exzellente Experten zeichnen sich dadurch aus, dass sie zunächst keine Möglichkeit ausschliessen, sondern Hypothesen bilden und diese durch die Datenanalyse belegen oder widerlegen. Liegt das Problem in der unterschiedlichen Durchführung des Rüstprozesses selbst, so kann hier zum Beispiel ein Expertensystem helfen, das den unerfahreneren Bediener bei der Einrichtung unterstützt. Weist die Datenanalyse auf eine ungünstige Kombination von Materialeigenschaften und Wetter als Ursache hin, so kann über ein Neuronales Netz Einfluss auf die täglich unterschiedliche Parametrierung der Anlage genommen werden. Solche Systeme können auch mit einem Fertigungsmanagementsystem, auch Manufacturing Execution System (MES) genannt, kombiniert und auf diese Weise einfach eingesetzt werden.

Bauchgefühl als wichtiger Impuls

Aufgrund all dieser Erfahrungen ermutigen wir bei adesso unsere Kunden, auf ihr Bauchgefühl für ihre Organisation zu hören. Wir sind sicher, dass in dieser intuitiven Energie wertvolle Potenziale schlummern, die wir mit unseren KI-Anwendungen in Unternehmenserfolg umwandeln können. Unser Ziel ist es, mit unserem Vorgehen „dem individuellen Bauchgefühl eine Struktur“ zu geben.

Dr.-Ing. Marc Szymanski

leitet bei adesso ein Competence Center im Geschäftsbereich Manufacturing Industry (MI). Marc hat am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Informatik mit Fokus auf Adaptive Systeme und Robotik studiert. Während seiner Promotion am KIT leitete er die Forschungsgruppe Collective and Microrobotics (CoMiRo). Danach war er für die Softwareentwicklungsabteilung eines Automatisierungsunternehmens in der Intralogistik verantwortlich.

E-Mail: szymanski@adesso.de

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